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Rechtsextreme in Hessen: Unangenehm selbstbewusst

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Bei der hessischen Landtagswahl am Sonntag, den 18. Januar 2009, spielten die rechtsextremen Parteien eine marginale Rolle: Die NPD kam auf magere 0,9 Prozent der Stimmen (exakt wie bei der Vorjahreswahl im Januar 2008), die Republikaner sogar nur auf 0,6 Prozent der Stimmen (2008: 1,0 Prozent). Das heißt aber nicht, dass es in Hessen keine Rechtsextremen gäbe. Die „Freien Kräfte“ sind im ländlichen Raum selbstbewusst und gewaltbereit.

Simone Rafael sprach mit Kirsten Neumann und Christopher Vogel vom Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus für demokratische Kultur in Hessen e.V. und Sabine Diederich von der Jugendbildungsstätte Anne Frank.

Wie sieht Rechtsextremismus in Hessen derzeit aus?
Die hessische Neonazi-Szene befindet sich im Moment im Umbruch. Marcel Wöll war jahrelang die bestimmende Figur der Szene. Er war einerseits Landes-Vorsitzender der NPD und saß für die NPD im Wetterauer Kreistag, andererseits stand er an der Spitze der Freien Nationalisten Rhein-Main. Entsprechend stand er für eine Zusammenarbeit und Vernetzung von NPD und freier Szene. Nach dem peinlichen Landtagswahlkampf 2008 mit dem selbstdemontierenden „Zwergenvideo“ (siehe Bild) und einer Verurteilung wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung ist Marcel Wöll in Hessen politisch erledigt Er ist nach Thüringen gezogen. Durch Wölls Demontage hat die NPD enorm an Bedeutung verloren. Der neue Vorsitzende Jörg Krebs ist ein relativ unbeschriebenes Blatt. Jetzt ist die NPD für die „Freien Kräfte“ Hessens als Sammelbecken nicht mehr interessant. „Freie Kräfte“ wie die „Autonomen Nationalisten“ profitieren davon und gewinnen mehr Anhänger. Entsprechend hören die rechtsextremen Aktivitäten auch nicht auf. So gab es im Oktober 2008 etwa eine größere Demo in Wetzlar, die die Todesstrafe für Kinderschänder forderte, mit rund 320 Teilnehmenden. Die hatte Nicole Becker vom Verein „Ersthelfer“ angemeldet, einer Demo-Hilfe-Initiative der Neonazis.

Die nordhessische Neonaziszene orientiert sich zurzeit nach Nord – und Westdeutschland. Auch hier findet sich eine Vernetzung der Kameradschaftsszene mit dem Spektrum der Jungen Nationaldemokraten statt. Allerdings sind die Kameradschafts- und freie Szene inzwischen die attraktiveren.

Wie zeigt er sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Überall in Hessen finden sich Kameradschaftsstrukturen, die zum Teil sehr aktiv sind und dauerhaft agieren, zum Teil haben sie sich offiziell aufgelöst, agieren aber weiter und gehen auf in NPD- oder Aktionsbüro-Strukturen. Wichtig sind in Südhessen die genannten Freien Nationalisten Rhein-Main oder die Berserker aus dem Vogelsberg. Zum Teil sind Gruppierungen aber auch wenig oder vor allem punktuell auf Aufmärschen aktiv und basieren auf wenigen Personen. Verbindungen über die Landesgrenzen hinaus, wie etwa beim Aktionsbüro Rhein-Neckar, ergänzen das Bild.

Mitglieder der rechten Szene zeigen sich häufig auf örtlichen Festen wie etwa auf der Dorfkirmes. Dort gibt es nicht selten Schlägereien. Die Musikszene spielt eine wichtige Rolle. Ein Beispiel für die regen Aktivitäten im Bereich der rechten Musik ist die rechtsextreme Band HKL (Hauptkampflinie) aus dem nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis. Dort finden regelmäßig als Geburtstagsfeiern oder ähnliches getarnte rechtsextreme Konzerte statt. Im Sommer 2008 überfielen Neonazis im Schwalm-Eder-Kreis am Neuenhainer See ein Zeltlager linker Jugendlicher, wobei ein Wortführer der lokalen Szene, Kevin Sch., ein 13-jähriges Mädchen mit einem Spaten krankenhausreif zusammenschlug, wofür er unlängst zu über zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Im Sportbereich sind die Fußball-Ligen betroffen. So wird von einem Vorfall berichtet, bei dem ein Torwart mit der Rückennummer 88 auftrat. Die Folgen dieser strukturellen Veränderungen und Anwerbeaktivitäten zeigen sich in unserer täglichen Arbeit. So berichten immer mehr Jugendliche über Berührungspunkte mit rechtem Gedankengut oder Gruppierungen. Eine rechte (nicht nur Jugend)-Szene hat sich in vielen Orten entwickeln können.

Nicht nur in den ländlichen Regionen finden sich diese Aktivitäten. So wurden etwa in Frankfurt alternative Jugendliche von Neonazis überfallen. In Kassel wurde eine Schülervertreterin bedroht, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Hier ist auch inzwischen damit zu rechnen, dass dort, wo Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus stattfinden, auch Personen aus dem Spektrum auftauchen und sich selbstbewusst in Diskussionen einmischen.

Schwerpunkt-Regionen sind in Südhessen die Region Bergstraße und Odenwald, in Mittelhessen Vogelsberg und Lahn-Dill, in Nordhessen der Schwalm-Eder-Kreis. Einen wichtigen Rückzugsort hat die rechten Szene in Butzbach Hoch-Weisel im Wetteraukreis verloren: Dort scheiterte ein so genanntes „nationales Wohnprojekt“ von Marcel Wöll.

Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Freie Nationalisten Rhein-Main, Berserker, die NPD mit siebzehn Kreisverbänden (auch vertreten durch Mandate in Kommunen und Kreisen) und die JN, Aktionsbüro Rhein-Neckar.

Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Hessen liegt am unteren Ende der bundesweiten Statistiken zum Thema, was oft genug dazu einlädt, das Thema und die Aktivitäten der Szene klein zu reden. Der hessische Verfassungsschutz weist jedoch darauf hin, dass z.B. die vergleichsweise kleineren Personenzahlen im Kontext ihres hohen Mobilisierungs- und Gewaltpotentials zu sehen sind und daher Anlass zur Sorge bieten. Der Strukturwandel innerhalb der Szene hin zur NPD hat sich erledigt, auch wenn die Freien Kräfte zum Teil noch für gemeinsame Aktionen wie Infostände zu begeistern sind.

Allgemein ist zu sagen, dass auch hier Aktive der rechten Szene häufig nicht etwa aus sozial schwachen Hintergründen stammen, sondern dass sie aus durchaus gesicherten Verhältnissen kommen und in die Gesellschaft integriert sind. Hervorzuheben sind hier die Verbindungen der rechten Szene zu Burschenschaften. Es wird ganz allgemein und durchaus erfolgreich der Anschluss an konservative Kreise gesucht.

Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?
In Hessen gibt es nach der Selbstdemontage der NPD eine starke Hinwendung zu „Autonomen Nationalisten“ und anderen „Freien Kräften“, die stärker eine Erlebniskultur als tiefschürfende politische Inhalte anbieten und sich insgesamt cooler, hipper und unauffälliger auftreten. Dass „Autonome Nationalisten“ mit Basecaps und Piercings besser aussehen, ändert aber nichts an der Gefahr, die von ihnen ausgeht. Der „Kampf um die Dörfer“ ist in vollem Gange. Ein Beispiel ist der Schwalm-Eder-Kreis, wo es einer dominanten Führungsfigur, nämlich dem jüngst verurteilten Kevin Schnippkoweit, innerhalb kürzester Zeit gelang, eine sehr aktionsbereite rechtsextreme Szene zu organisieren, die nicht nur Aufkleber verteilte und Präsenz bei Veranstaltungen von politisch Andersdenkenden zeigte, sondern vor allem nicht-rechte Jugendliche verfolgte, was von Stalking und Bedrohung bis zu Körperverletzungen ging. Die Rechtsextremen dort sind erstaunlich selbstbewusst. Sie kommen zu jeder Veranstaltung des Bündnisses „Schwalmstadt ist bunt“, das nach dem Überfall am Neuenhainer See gegründet wurde, saßen an jedem Prozesstag im Gericht.
Außerdem ist in Hessen die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verortet, die „familienorientierte“, in die Szene gerichtete Angebote macht und auf Heimabenden und in Zeltlagern werden hier die Kinder und Jugendlichen der rechten Szene früh geschult.

Ein weiteres Feld ist die Nutzung des Internets: Eine internetbasierte Nachrichtensendung, die „Kritischen Nachrichten der Woche“, werden von der NPD ins Netz gestellt.

Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Hessen derzeit ein und warum?
Durch den Weggang Marcel Wölls und die Haftstrafe für Kevin Sch. ist die hessische rechtsextreme Szene derzeit im Umbruch mit noch unklarem Ausgang. Deutlich sind der Einflussverlust der NPD und die Hinwendung zu „Freien Kräften“. Bei der Landtagswahl 2009 tritt die NPD für die Landesliste und mit 34 Direktkandidaten an. Damit wird sie in 55 Wahlkreisen mit Erststimme wählbar sein, die Republikaner dagegen nur in 14 Wahlkreisen. Bei der Wahl 2008 war das Kräfteverhältnis noch umgekehrt. Trotzdem dürfte sie eine nebensächliche Rolle spielen.
Der Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten ist auch in Hessen häufig von Unsicherheiten geprägt. Erfreulicherweise hat seit dem letzten Jahr eine selbst organisierte Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure in Hessen stattgefunden. Die Einrichtung eines landesweiten Beratungsnetzwerks aus Mitteln des Bundesprogramms „Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ bietet jetzt Unterstützung für Opfer von Bedrohungen und Gewalttaten wie für Menschen, die aktiv werden wollen. Aus dem Vogelsbergkreis wurde z.B. berichtet, dass Jugendliche sich nicht trauen, gegen rechts einzutreten, weil sie bedroht und eingeschüchtert wurden. Wichtig ist auch, dass bei Aktivitäten gegen rechte Gruppierungen nicht gleich gewalttätige Auseinandersetzungen angenommen oder fast herbeigeredet werden, wie es etwa im Vorfeld von Demonstrationen zu beobachten war. Flankiert werden müssten diese Aktivitäten allerdings landesweit durch vielfältige präventive Maßnahmen.

| Mobiles Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus für demokratische Kultur in Hessen e.V.

| Jugendbildungsstätte Anne Frank

| Initiativen in Hessen

Wahlergebnisse der hessischen Landtagswahl 2009

Die REP erhielten 0,6 Prozent (2008: 1 Prozent) der Zweitstimmen ("Landesstimmen"), die NPD kam auf 0,9 Prozent wie im Vorjahr. Nur in 20 von den insgesamt 55 hessischen Wahlkreisen konnte die NPD um jeweils wenige Wählerstimmen zulegen. Die REP verloren durchweg in jedem einzelnen Wahlkreis. In absoluten Zahlen sackten die REP von unter 28.000 auf unter 16.000 Stimmen, die NPD von etwa 24.000 auf gut 22.000 Zweitstimmen (alle aktuellen Angaben laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis).

Wie schon zuvor erzielte die NPD ihr bestes Zweitstimmen-Ergebnis mit 2,4 Prozent im Wahlkreis Wetterau II (2008: 3 Prozent). Das beste REP-Ergebnis kam mit 1,5 Prozent im Wahlkreis Odenwald zustande. Bei den Erststimmen ("Wahlkreisstimmen") erzielte Klaus Opitz mit 2 Prozent im Wahlkreis Rheingau-Taunus I das beste Ergebnis der REP-Kandidaten, unter den NPD-Kandidaten bekam Daniel Lachmann im Wahlkreis Wetterau II mit 2,6 Prozent den höchsten Anteil. (Quelle: redok)

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Echzell: Festival gegen Rechts soll über gefährliche Aktivitäten der ortsansässigen Neonazis aufklären

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In Echzell im hessischen Wetteraukreis treibt eine Gruppe gewalttätiger Neonazis ihr Unwesen. Sie gehen Geschäften nach, feiern Partys im „Gaskammer“-Ambiente, greifen Nachbarn an und nehmen Einfluss auf die lokale Jugend. Die Nachbarn, die sich wehren, fühlen sich oft allein gelassen und haben sich daher zu einer Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“ zusammengeschlossen. Am Wochenende feiern sie ein großes Festival gegen die Rechtsextremen im Ort.

Von Dana Fuchs

Im hessischen Echzell macht die Zivilgesellschaft am Samstag lautstark darauf aufmerksam, dass sie ein Rechtsextremismus-Problem in ihrem Ort sieht – und das nicht hinnehmen will. Das Bündnis „Grätsche gegen Rechtsaußen“ veranstaltet in Echzell ein Festival gegen Rechtsextremismus und versucht damit, über die rechtsextremen Aktivitäten im Ort aufzuklären. Unterstützt wird das Festival von der Sportjugend Hessen, dem hessischen Beratungsnetzwerk und vielen lokale Vereine.

Viele Aktivitäten beleuchten ein großes Problem

Gegen 15 Uhr beginnt das Festival mit einem Fußballturnier und endet mit Live-Musik von „Hartmann“ und „Fräulein Wunder“ und anschließender Disko. Erwartet werden rund 800 Leute: „Wir haben erhalten immer mehr Zusagen“, so Manfred Linss von „Grätsche gegen Rechtsaußen“. Neben den sportlichen und musikalischen Angeboten, können die Besucher ihr Wissen über Rechtsextremismus testen. An vielen Informationsständen werden darüber hinaus Hilfe und Tipps im Umgang mit Rechtsextremen angeboten. Weiteres Highlight ist eine Fotoausstellung mit dem Titel „Gemeinsam gegen Rechtsaußen“. Diese wird unterstützt von Prominenten wie Martin Stöck und Cherry Gehring von Pur, Alex Auer, Xavier Naidoo und Leon Taylor, Hessens Vertreter beim Bundesvision Songcontest 2010. Das Festival steht unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters Dieter Müller und ist gedacht für Familien, Kinder und Jugendliche, die sich gegen Rechtsextremismus wehren wollen. „Ziel ist es, alle Bürger und insbesondere Jugendliche zum Hinschauen auf die rechtsextremen Umtriebe in der Wetterau und den angrenzenden Landkreisen zu bewegen“, so die Bürgerinitiative in ihrer Ankündigung.
Alle Künstler auf dem Festival spielen übrigens ohne Gage. Die Erlöse des Festivals sollen der Bürgerinitiative zugute kommen. Und die hat alle Hände voll zu tun.

Aggressive Rechtsextreme, die wenig fürchten

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Echzell ist ein Aufgabenfeld mit großem Umfang. In den letzten Wochen war der Ort in den Medien, weil eine Gruppe Neonazis einen 58 Jahre alten Mann von einer Leiter heruntergestoßen hatte und diesem, während sie auf ihn einschlugen, die Hose auszog. Der Mann konnte sich halbnackt in sein Haus flüchten. Er erlitt bei dem Angriff eine Wunde am Kopf und mehrere Schürfwunden am Rücken. Besonders perfide ist, dass der Vorfall gefilmt wurde und als eine Art „Warnung“ an die Bürgerinitiative bei Youtube hochgeladen wurde. In fehlerhaftem Deutsch steht unter dem Video: „jetzt kann sich das ganze ort mal ein bild machen was die so zusagene bürgerinitiative für ein haufen ist und was die für einen müll von sich geben“.

Abgespielt hat sich der Übergriff vor dem Haus von Patrick W., einer der Hauptfiguren der Echzeller Neonazi-Szene. Laut der „Neuen Rheinischen Zeitung“ prallt W. gerne damit, dass er als Jugendlicher einen Migranten mit einem Messer niedergestochen hat und nennt sich daher der „Schlitzer“. W. versammelt um sich eine Gruppe namens „Old Brothers“. Zum harten Kern sollen rund 15 Personen und zum Umfeld der Gruppe rund 30 Personen zählen. Das Zeichen der Gruppe ist ein Totenkopf, welcher stark an das Symbol der Waffen-SS erinnert.

Ein Strippenzieher scharrt die Jugend um sich

Der nach eigenen Angaben hoch verschuldete Neonazi, besitzt laut Recherchen aus dem Ort mehrere Geschäfte. Zum einen gehöre ihm ein Tattoo-Studio, an welches ein Versandhandel angegliedert ist. Zum Angebot des Shops gehören vor allem T-Shirts mit rechtsextremen Aufdrucken, wie „C18“ (Combat 18), „Arische Kämpfer“ oder „Hunting Season“ (mit zusätzlichem Aufdruck, wie Schwarze von Weißen niedergeschossen werden). Außerdem sollen W. noch ein Taxi-Unternehmen und eine Hundezucht gehören.

Besonders gefährlich: Patrick W. versucht aktiv, die lokale Jugend für seine Ideologie zu gewinnen. Dafür bietet sich W. als eine Art Sozialarbeiter an. Auf der Seite des sozialen Netzwerks „wer-kennt-wen“ wirbt die Gruppe „Old Brothers“ um interessierte Jugendliche, indem sie verspricht, dass sich die Mitglieder umeinander kümmern und aufeinander aufpassen.

„Brausekammer“-Partys...

Gerne soll er laut Recherchen lokaler Akteure die Jugendlichen zu Partys in seinem Haus einladen – unter anderem zu sogenannten „Brausekammer“-Partys, wie die Neue Rheinische Zeitung berichtet. Diese fänden in einem unscheinbaren Raum im hinteren Teil seines Hofes statt. Der etwa 45 Quadratmeter große Raum sei mit einer kargen Innenausstattung eingerichtet: kleines Drahtglasfenster, einige Tische, gemauerte Bänke mit hölzerner Sitzfläche, „Table-Dance-Stange“ und eine Theke. Über der Bar sei eine Rohrleitung mit Brauseköpfen montiert. Als Party-Highlight lasse W. aus einer Nebelmaschine Nebel durch die Brauseköpfe in den Partyraum. Dieser vermeintliche „Partygag“ soll eine Vergasung darstellen und verhöhnt so die Ängste und Leiden der KZ-Opfer.

... und immer wieder Gewalt

Wie machtlos die Echzeller Anwohner sich gegenüber diesem schrecklichen Treiben fühlen, zeigt ein weiterer Übergriff der Neonazis im November 2009. Als eine Gruppe laut pöbelnd und schreiend von dem Hof von Patrick W. durch die angrenzenden Straßen läuft, beschwert sich eine Frau und bittet die Störer um Ruhe. Daraufhin beschimpfte die Gruppe die Frau und telefonierte laut vor ihrem Haus. Der vermeintliche Gesprächspartner wurde gebeten, doch Benzin mitzubringen, da ein Haus angezündet werden muss, so berichtet die Neue Rheinische Zeitung. Die Anwohnerin rief daraufhin die Polizei. Als diese kommt, wird sie von dem pöbelnden Mob beschimpft. Die Polizei forderte die Anwohnerin nur auf, vom Fenster weg zu gehen und nicht mehr zu provozieren, dann verschwindet sie wieder.

Daraufhin eskaliert die Situation. Die Neonazis verschaffen sich Zutritt zu dem Hof und verprügeln den Ehemann. Den Vorwurf, dass die Polizei bei Vorfällen mit Neonazis nicht hart genug eingreift, musste sie sich schon oft anhören. So auch im anfangs geschilderten Fall mit dem 58-jährigen Mann, der von einer Leiter gestoßen wurde. Laut Echo Online stand die Polizei wohl gegenüber vom Haus und griff viel zu spät in das Geschehen ein. Diesen Vorwurf wies die Polizei zurück. Ein Polizeisprecher betonte, dass ein Beamter eingeschritten sei, während ein Zweiter im Innenhof des Gebäudes wartete und ein Praktikant direkt neben dem Geschehen stand, dieser habe nur leider keine Eingriffsbefugnis gehabt.

Kein Wunder also, dass sich die oft allein gelassen fühlen, die sich gegen die Neonazis im Ort zur Wehr setzen. Im gegen dieses Ohnmachtsgefühl anzugehen, wurde November 2009 die von der Gemeinde unterstützte Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“ gegründet. Das Bündnis informiert über die Situation im Ort und steht im regen Austausch mit anderen Initiativen, mit Medien und mit Entscheidungsträgern der Gemeinde. So wurde im Juni 2010 gemeinsam mit der Gemeinde eine Resolution gegen Rechtsextremismus verabschiedet.
„Wir verstehen das Festival als Auftakt für viele weitere Veranstaltungen und Aktionen gegen Rechtsextremismus“, so Manfred Linss. Demnächst soll auch ein gemeinnütziger Verein gegründet werden. „Dadurch wird unsere Arbeit besser organisiert. Wir können viel leichter neue Unterstützer und Spender gewinnen.“ Manfred Linss betont weiter, dass die Arbeit der Engagierten im Ort vor allem auf Spenden basiert und diese auch weiterhin notwendig sind, um gegen die lokalen Neonazis aktiv zu werden. Das Festival am Samstag ist ein weiterer Versuch, den rechtsextremen Aktivitäten im Ort etwas entgegenzusetzen.

Mehr dazu im Netz:

| BI "Grätsche gegen Rechtsaußen"

| Festival in Echzell

| Thementag auf YouFM „Rechtsextremismus in Hessen“

Ressorts (Netz gegen Nazis):

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Ausgezeichnet: DFB ehrt Konfliktmanagerin gegen Rassismus auf dem Fußballplatz

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Wenn Rassismus auf dem Fußballplatz hervorbricht, brauchen Trainer und Spieler Unterstützung. Diese Hilfe bekommen sie von der Psychologin und Sportwissenschaftlerin Angelika Ribler, die bei der Sportjugend Hessen für mehr Miteinander aktiv ist. Sie hat mit ihrem Team inzwischen 14.000 Trainer, Spieler, Funktionäre und Eltern geschult hat und wurde dafür jetzt vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Ehrenpreis ausgezeichnet.

Von Nevruz Karadas

Seit knapp zwei Jahrzehnten ist Angelika Ribler, Referentin für Jugend- und Sportpolitik bei der Sportjugend Hessen, im Kampf gegen Rechtsextremismus engagiert. Momentan tritt sie vor allem in ihren beiden Hauptprojekten für ein respektvolles Miteinander ein: „Interkulturelles Konfliktmanagement im Fußball“, das die Sportjugend in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Fußball-Verband (HFV) betreibt, und „Mobile Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport“. Für ihr Engagement wurde sie in der vergangenen Woche vom Deutschen Fußballbund (DFB) mit dem Julius-Hirsch-Ehrenpreis ausgezeichnet.

Mit Aufklärungsarbeit gegen rassistische Vorurteile aus der Mitte der Gesellschaft

„Seit ich im Geschichtsunterricht die ersten Berichte über den Holocaust gehört habe, wusste ich, dass ich zukünftig alles mir Mögliche unternehmen werde, damit solche menschenverachteten Ungerechtigkeiten nicht noch einmal eintreten“, sagt Ribler. Im Gespräch mit der Sportpolitik-Referentin wird schnell deutlich, dass für sie der Einsatz für den Abbau von rassistisch motivierten Konflikten im Sport und in der Gesellschaft eine Herzensangelegenheit ist. In ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus ist es Ribler wichtig, nicht nur gegen den offen nach außen getragenen Rechtsextremismus vorzugehen, sondern auch Konzepte zu entwickeln gegen die ablehnenden oder rassistischen Haltungen gegenüber MigrantInnen bei Personen, die nicht dem rechten Rand zuzuordnen sind. Aktuell zeige die Diskussion um Thilo Sarrazin, wie verbreitet rassistische Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft seien, so Ribler im Interview – in etlichen vertraulichen Situationen musste sie sich bereits anhören, dass die rassistischen Äußerungen von NPD- Vertretern gar nicht so falsch seien. „Allerdings, und dies ist die positive Nachricht, kann die NPD die besorgniserregende Einstellung in der Mitte der Gesellschaft nicht in Wahlerfolge umsetzen“, konstatiert Ribler.

Für ein friedvolles Miteinander müssen alle reden: Spieler, Trainer, Eltern

Rassistischen Vorurteilen versucht Ribler unter anderem mit Bildungsarbeit entgegenzuwirken. So werden in den von ihr geführten oder koordinierten Schulungen nicht nur beteiligte Spieler, Fußballtrainer und Schiedsrichter, sondern auch die Eltern und ZuschauerInnen angesprochen. Im Rahmen des Projekts „Interkulturelles Konfliktmanagement im Fußball“ finden jedes Jahr rund 100 Veranstaltungen statt. Das Angebot reicht von Trainerschulungen zum Thema „Umgang mit interkulturellen Konflikten“ über soziale Trainings mit Jugendmannschaften bis zu Elternabenden. Bei diesen Begegnungen haben Menschen mit und ohne Migrationshintergrund die Möglichkeit, ihre Ängste und Erfahrungen auszusprechen und mit Hilfe von Mediatoren wie Angelika Ribler Lösungsansätze zu entwickeln.

Kam es bereits zu Konflikten, enden die Workshops meist mit einer schriftlichen Vereinbahrung der Beteiligten, in der sie festhalten, was sie im Umgang miteinander verbessern und für welche Ziele sie sich zukünftig einsetzen möchten. Nach der Auffassung der Sport-Referentin ist es bei der Annährung von Mehrheitsgesellschaft und ethnischen Minderheiten äußerst wichtig, dass die Sportvereine nach innen und außen artikulieren, dass rechtsextreme Einstellungen und rassistische Äußerungen in ihren Vereinen nicht erwünscht sind. Es gälte hingegen eine Kultur der Anerkennung von Vielfalt und Gleichwertigkeit zu fördern.

Harte Strafen von Sportgerichten für Spieler aus Migrantensportvereinen

Ein Punkt, an dem sich zu arbeiten lohnt, ist die relativ hohe Zahl der Sportgerichtsverurteilungen gegenüber Spielern mit Migrationshintergrund. Die Sportgerichte bräuchten in der Beurteilung und im Umgang mit interkulturellen Konflikten professionelle Unterstützung, betont Ribler. Vor allem im Umgang mit Migrantensportvereinen, die im HFV 5 Prozent der Fußballvereine ausmachen, seien die Sportgerichte oftmals überfordert – und nicht nur sie.

So werde die Selbstorganisation von Migranten in eigenen Vereinen von den oftmals Fußball-Funktionsträgern ohne Migrationshintergrund als Integrationsverweigerung und Ghettobildung bewertet. Darüber hinaus zeige eine Projektstudie, die in diesem Jahr durch Judith Scherer und Martin Winand vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld vorgenommen wurde, dass Spieler mit Migrationshintergrund a) überproportional häufig von den Sportgerichten verurteilt werden und b) für dasselbe Vergehen im Vergleich zu (herkunfts-)deutschen Spielern härter bestraft werden. Die Bewertung der Daten sei jedoch nicht so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick erschiene, so Ribler. So könne man zum einen den Sportgerichten und Schiedsrichtern nicht einfach diskriminierendes oder gar rassistisches Verhalten vorwerfen und zum anderen die migrantischen Fußballer nicht einfach zu gewalttätigen Spielern abstempeln. Als ausgebildete Sportmediatorin versuche Ribler hingegen als „neutrale Dritte“ die unterschiedlichen Sichtweisen der Beteiligten miteinander in Kontakt zu bringen und die Kommunikation miteinander und nicht übereinander zu fördern.

Sport ist nicht automatisch integrativ

Ribler weiß aus Erfahrung, dass die Kommunikation über die „interkulturellen“ Konflikte und ihre jeweilige Deutung die Stimmung auf dem Platz nochmals ordentlich anheizen kann. Spieler mit Migrationshintergrund reagieren aus Wut über tatsächliche oder so wahrgenommene Ungerechtigkeiten häufig mit Ablehnung und Aggressivität gegenüber deutschen Fußballer und Funktionär ohne Migrationshintergrund. Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, arbeitet Ribler mit Sportgerichten zusammen und trainiert die Verantwortlichen in ihrer interkulturellen Sensibilität: „Beide Seiten müssen lernen, offener aufeinander zuzugehen. Wenn Vorurteile und Vorverurteilungen auf dem Sportplatz nicht abnehmen, lässt die Integrationsfähigkeit des Sports nach“, sagt Angelika Ribler, „und das wäre eine Last für alle Sportbegeisterten.“ Der Schieflage auf dem Spielfeld kann mit Aufklärungsarbeit und Respekt begegnet werden - davon ist Ribler überzeugt.

DFB investiert in Integration

Dass es auf dem Sportplatz Nachholbedarf in puncto interkultureller Konfliktberatung gibt, hat auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erkannt. Deshalb würdigt der DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis Personen, Initiativen und Vereine, die sich „beispielhaft und unübersehbar für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus, für die Vielfalt aller Menschen und für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen“ einsetzen.
In diesem Jahr ist Angelika Ribler eine der PreisträgerInnen. In seiner Laudatio würdigte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Dr. Thomas Bach, das außergewöhnlich erfolgreiche und mutige Engagement von Angelika Ribler in ihrem Wirken gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt. Bis heute hat die engagierte Sportreferentin gemeinsam mit ihrem Team in Workshops 14.000 Trainer, Spieler und Schiedsrichter geschult. Auch die jährlich 120-140 jungen Menschen, die in den hessischen Sportvereinen ihr freiwilliges soziales Jahr absolvieren, sensibilisiert Angelika Ribler für die Gefahren, die durch Rechtsextreme in den Gemeinden und auch in Sportvereinen selbst entstehen.

Besondere Aufmerksamkeit und Würdigung durch Dr. Thomas Bach erfuhr zudem die Beratungstätigkeit von Angelika Ribler im Rahmen des Projektes „Mobile Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport“ der Sportjugend Hessen. Hier geht es um die Stärkung von Bürgerinitiativen und Sportvereinen in Gemeinden, in den Rechtsextreme ihr Unwesen treiben. Ein erfolgreicher Ansatz, um breite demokratische Bündnisse vor Ort zu schmieden, sind für Ribler Sport- und Kulturveranstaltungen, wie kürzlich in Echzell im Kreis Wetterau. „Wir haben uns über die große Resonanz gefreut, es kamen 900 Gäste zum unserem Festival unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rechtsaußen“, resümiert Ribler. Das zivilgesellschaftliche Engagement im Wetterau-Kreis liegt der Sportwissenschaftlerin so am Herzen, dass sie das Preisgeld in Höhe von Euro 5000.- je zur Hälfte der Echzeller Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“ und der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. zukommen lassen will. Sie selbst arbeitet derweil schon an neuen Projektideen für das kommende Jahr.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| DFB zeichnet SV Sedlitz Blau-Weiß und Roter Stern Leipzig für Arbeit gegen Rechtsextremismus aus

| Julius Hirsch Preis 2009 des DFB an "Löwenfans gegen Rechts" und ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo

Mehr im Internet:

| Der Julius-Hirsch-Preis des DFB
| Bisherige PreisträgerInnen

| Interkulturelles Konfliktmanagement der Sportjugend Hessen
| Mobile Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport (MITS)

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Jahresrückblick 2010 - Mittelhessische Neonazis werden aktiver und die NPD angriffslustiger

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In Hessen hat 2010 vor allem ein Brandanschlag der autonomen rechtsextremen Szene auf ein Wohnhaus in Wetzlar Aufsehen erregt. Außerdem fanden Rechtsrockkonzerte und bizarre Neonazi-Partys statt.

Heute antwortet Mikis Rieb vom Netzwerk für Demokratie und Courage Hessen

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Hessen im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?

Der Raum Kassel und der Schwalm-Eder-Kreis zählen beständig zu den Schwerpunktregionen der extremen Rechten. Gruppierungen wie der ‚Freie Widerstand Kassel‘, die ‚Autonomen Nationalisten Kassel‘ und weiter im Süden die ‚Freien Kräfte Schwalm-Eder‘ machen immer wieder durch Farbschmierereien und brutale Übergriffe auf sich aufmerksam.

Im Jahr 2010 hat allerdings die Region Mittelhessen bis ins angrenzende Rhein-Maingebiet für Aufsehen gesorgt. Im Lahn-Dill-Kreis müssen sich seit April vier Neonazis aus dem Umfeld der ‚Autonomen Nationalisten Wetzlar‘ und der ‚Anti-Antifa Wetzlar‘ wegen versuchten Mordes in vier Fällen vor Gericht verantworten. Sie hatten in der Nacht vom 4. auf den 5. März einen Brandsatz gegen die hölzerne Eingangstür eines Wohnhauses in der Wetzlarer Innenstadt geschleudert. Der Anschlag galt einem 48-jährigen Pastoralreferenten, der sich gegen extreme Rechte in der Region engagiert. Die derzeitigen BewohnerInnen des Hauses, die Ehefrau des Pastoralreferenten sowie drei der gemeinsamen Kinder konnten den Brand mit Hilfe einer Nachbarin löschen und blieben physisch unverletzt. Dem Anschlag gingen zahlreiche Aktionen der ‚Autonomen Nationalisten‘ und der ‚Anti-Antifa‘ voraus. Darunter mehrere Farbanschläge und Angriffe auf Veranstaltungen und Treffpunkte des Wetzlarer Bündnisses gegen Nazis und gegen weitere linke Szenetreffpunkte in Wetzlar und auch in Gießen. Eine Demonstration mit rund 1000 TeilnehmerInnen, die als Reaktion auf den Brandanschlag stattfand, versuchten mehrere junge Neonazis erfolglos zu stören. Seit Prozessbeginn und dem Umzug eines wichtigen Protagonisten der ‚Autonomen Nationalisten‘ nach Dortmund ist es zum Jahresende um die beiden Neonazigruppen ruhiger geworden. Die jeweiligen Internetseiten werden nur noch sporadisch aktualisiert. Ob diese Ruhe jedoch anhalten wird ist fraglich, da ein Aktivist der ‚Anti-Antifa Wetzlar‘ in einem Brief an einen der Angeklagten die Bestrafung desjenigen ankündigte, der die entscheidenden Hinweise für die Festnahme der Brandstifter gab.

Etwas weiter im Süden des Lahn-Dill-Kreises, an der Grenze zum Hochtaunuskreis, fand am 14. August ein Rechtsrock-Konzert mit der Band ‚Kategorie C – Hungrige Wölfe‘ statt. Rund 400 Gäste, unter denen sich zahlreiche Neonazis befanden, wurden über ein Infotelefon und einen Schleusungspunkt in die Diskothek ‚Mystage‘ in Waldsolms-Brandoberndorf gelotst. Nicht zufällig wurde das ‚Mystage‘ als Veranstaltungsort für die wohl bedeutendste Rechtsrockveranstaltung dieses Jahres in Hessen gewählt. Regelmäßig finden dort sogenannte ‚Onkelz-‘ und ‚Deutschrock-Partys‘ statt, zu denen sich Neonazis aus den angrenzenden Landkreisen einfinden. Zwar regt sich seit dem ‚Kategorie C‘-Konzert, das unter den Augen einer Hundertschaft der Polizei stattfand, Protest in Brandoberndorf, aber bis jetzt finden auch weiterhin Partys mit zahlreichen extrem rechten Gästen statt.

Im angrenzenden Wetteraukreis hat sich indes ein junger Neonazi im ländlichen Echzell nahe Wölfersheim eingerichtet. Gekauft hat er dort eine alte Hofreite, die er ‚Old Brothers Castle‘ nennt und insbesondere für bizarre Partys nutzt. Als besonderen „Partygag“ hat er einen der Räume zu einer Gaskammer umgebaut, wie ehemalige BesucherInnen berichten. ‚Old Brothers‘ ist auch der Name einer von ihm betriebenen Security-Firma sowie eines Tätowierstudios, das er ebenfalls in den Gebäuden der Hofreite betreibt. Bereits vor dem Kauf der Gebäude in Echzell war der junge Mann, der sich selbst ‚Schlitzer‘ nennt, auffällig geworden. Seinen Tätowierladen betrieb er zuvor in Wölfersheim und verkaufte über die dazugehörige Internetseite T-Shirts mit rassistischen und neonazistischen Motiven. Dass der junge Neonazi gute Kontakte in Rockerkreise und in das Türstehermillieu besitzt, verleiht dem ganzen eine besondere Brisanz. Schwer hat es auch das Bürgerbündnis unter dem Titel ‚Grätsche gegen Rechtsaußen‘, das sich bereits kurz nach dem Bekanntwerden des Zuzugs des Neonazis gründete. Im Juli kam es dann zu einem Zwischenfall bei einer der Partys im ‚Old Brothers Castle‘. Unter den Augen der Polizei wurde ein Nachbar, der sich zuvor über die Lautstärke beschwert hatte und im Bürgerbündnis aktiv ist, schwer misshandelt und später im Internet bloßgestellt.

Obwohl sich der junge Neonazi aus Echzell mehrfach über die NPD lustig machte und seine Verachtung zum Ausdruck brachte, versucht sich die extrem rechte Partei, zu deren Hochburgen der Wetteraukreis gehört, einzumischen. Als das Echzeller Bürgerbündnis am 28. August ein ‚Festival gegen Rechtsaußen‘ veranstaltet, mobilisiert die NPD zu einer Gegenkundgebung zu der sich schließlich 25 Rechte einfanden. Eine Aktion, die in Hessen noch aus einem anderen Grund bemerkenswert ist. Denn die hessische NPD reagiert nun auf antifaschistische Aktionen und Veranstaltungen mit Gegenveranstaltungen. Bereits am 9. Juni hatte die NPD zu einer Demonstration gegen eine Veranstaltung mit Andrea Röpke in Butzbach aufgerufen. Den 20 Neonazis, unter denen auch ‚Autonome Nationalisten‘ aus dem Schwalm-Eder-Kreis und dem Raum Wetzlar waren, gelang es jedoch nicht die Veranstaltung zu stören. Auch der Versuch einer anschließenden Spontandemonstration scheiterte. Auch wenn diese neue Taktik – den politischen Gegner bei seinen eigenen Aktionen unter Druck zu setzen – bisher nicht auf zu gehen scheint, kann dies dennoch als Strategiewandel gesehen werden. Ein Strategiewandel, der eventuell mit den schwindenden Mitgliederzahlen zusammen hängt, mit denen die hessische NPD zu kämpfen hat, seit die charismatische Führungsfigur Marcel Wöll fehlt.

Was erwarten Sie 2011?

Die Halbwertszeit von Prognosen über die Entwicklung der extremen Rechten ist erfahrungsmäßig gering. Das trifft insbesondere auf die sogenannten ‚Freien Kräfte‘ zu. Mit Blick auf die NPD kann man allerdings vermuten, dass sich der einsetzende Aktionismus, der sich gegenläufig zur schwindenden Mitgliederzahl entwickelt hat, noch verstärkt. Ende März 2011 stehen in Hessen die Kommunalwahlen an und die Wetterauer NPD hat bereits jetzt ihren Wahlkampf eingeläutet. Gerade in der Wetterau wird sie versuchen ihre Hochburg zu verteidigen. Ob es ihr gelingt und ob sie es zudem schafft neue Mitglieder zu werben wird sich zeigen müssen. Den Willen, im nächsten Jahr für Aufsehen zu sorgen, hat die extrem rechte Partei bereits mit der Anmeldung einer Demonstration am 16. Juli in Gießen gezeigt. Gerade in jener Stadt, in der es AntifaschistInnen immer wieder gelang ein öffentliches Auftreten von NPD-AktivistInnen zu stören und zu verhindern, soll nun eine ‚bundesweite Großdemonstration‘ stattfinden, wie die eigens eingerichtete Sonderseite ankündigt.

Mehr im Internet:

| Netzwerk für Demokratie und Courage Hessen

Mehr zum Jahresrückblick 2010 bei netz-gegen-nazis.de:

| Baden-Württemberg
| Bayern
| Berlin
| Brandenburg
| Bremen
| Hamburg
| Mecklenburg-Vorpommern
| Nordrhein-Westfalen
| Rheinland-Pfalz
| Saarland
| Sachsen
| Sachsen-Anhalt
| Schleswig-Holstein
| Thüringen
| Bundesweit: Top Ten der Ereignisse
| Netz-gegen-Nazis.de

Lesen Sie auch auf mut-gegen-rechte-gewalt.de:

| Das war 2010

Ressorts (Netz gegen Nazis):

Format:

Region:

Beratungsteams gegen Rechtsextremismus - bundesweit

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Beratungsteams oder Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus sind dazu da, Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, die sich vor Ort gegen Rechtsextremismus engagieren wollen. Sie sind die richtigen Ansprechpersonen, wenn Sie Neonazis in ihrem Umfeld entdecken und sich fragen, was sie nun tun können - egal, ob sie ein Projekt gründen möchten, Anschluss an eine Initiative suchen oder eine Aktion planen.

Östliche Bundesländer

In den östlichen Bundesländern gibt es Beratungsteams dank einer gesonderten Bundesförderung bereits seit 2001:

Berlin

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
info@mbr-berlin.de
Chausseestr. 29
10115 Berlin
Tel.: 030 / 240 45 - 430 (431) (432)
Fax: 030 / 240 45 - 319
| www.mbr-berlin.de

Ostkreuz - Netzwerke gegen Rechts
c/o Stiftung SPI
Schönhauser Allee 73
10437 Berlin
Tel.: 030 / 41 72 56 28
Fax: 030 / 41 72 56 30
ostkreuz@spi-berlin.de
| www.stiftung-spi.de/index_1.html

Brandenburg

Mobiles Beratungsteam (MBT)
c/o Brandenburgisches Institut für Gemeinwesen Benzstr. 11-12
14482 Potsdam
Tel.: 0331 - 740 62 46
Fax: 0331 - 740 62 47
geschaeftsstelle@BIG-
demos.de

Die lokalen Dependancen in Angermünde, Cottbus, Frankfurt (Oder), Neuruppin, Potsdam und Trebbin unter | www.mobiles-beratungsteam.de

Mecklenburg-Vorpommern

Mobile Beratungsteams für demokratische Kultur

c/o RAA Mecklenburg-Vorpommern e. V.
Am Melzer See 1
17192 Waren (Müritz)
Telefon: 03991 - 66 96 0
Fax: 03991 - 66 96 11
info@raa-mv.de
Die lokalen Dependancen sind in Ludwigslust (Westmecklenburg), Anklam (Südvorpommern), Infos unter | www.demokratie-mv.de , in Neubrandenburg, Infos | www.cjd-waren.deund in Roggentin und Stralsund, Infos | www.regionalzentren-eamv.de.

Sachsen

Mobiles Beratungsteam Sachsen
c/o Kulturbüro Sachsen e. V.

Projektleitung Mobile Beratungsteams
Bautzner Str. 45
01099 Dresden
Telefon: 0351 - 272 14 90
Fax: 0351 - 563 40 898
buero@kulturbuero-sachsen.de
| www.kulturbuero-sachsen.de
Dependancen gibt es in Neukirchen (Südwestsachsen), Pirna (Mitte-Ost), Leipzig (Nordwest), Kontaktdaten hier.

Sachsen-Anhalt

Regionale Beratungsteams gegen Rechtsextremimus und für Demokratie
c/o Miteinander e.V.

Regionales Beratungsteam Nord
Miteinander e. V.
Chüdenstr. 4
29410 Salzwedel
Telefon: 03901 - 305 99 61
rbt.rzn@miteinander-ev.de

Regionales Beratungsteam Süd
Miteinander e.V.
Platanenstr. 9
06114 Halle (Saale)
Telefon: 0345 - 5237214
rbt.rzs@miteinander-ev.de

| www.miteinander-ev.de

Thüringen

Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen e.V. - MOBiT e.V.
Pfeiffersgasse 15
99084 Erfurt
Telefon: 0361 - 2192694
Fax: 0361 - 2192734
mail@mobit.org

Westliche Bundesländer

Aufgrund des großen Erfolges der Beratungsteams gibt es inzwischen einige auch im Westen Deutschlands:

Bremen

Pro aktiv gegen Rechts - Mobile Beratung in Bremen und Bremerhaven

Telefon: 0421 - 361-15672
Mobil: 0176 - 52 3333 14
pro-aktiv-gegen-rechts@soziales.bremen.de
|www.pro-aktiv-gegen-rechts.bremen.de

Hamburg

Das Mobile Beratungsteam Hamburg gegen Rechtsextremismus
c/o Arbeit und Leben
DGB/VHS Hamburg e.V.
Besenbinderhof 60
20097 Hamburg
Telefon (Landeskoordinierungsstelle): Landeskoordinierungsstelle
040 / 428 63 3625
mbt@hamburg.arbeitundleben.de
| | www.hamburg.arbeitundleben.de/html/projekte/mobilesteam.php

Hessen

Mobiles Beratungsteam gegen
Rassismus und Rechtsextremismus -
für demokratische Kultur e.V.

Oberzwehrener Str. 103
34132 Kassel
Telefon: 0561 - 8616766
Fax: 0561 - 8616765
politischebildung@gmx.de
| www.mbt-hessen.org

beratungsNetzwerk hessen- Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus
Landeskoordinierungsstelle

Wilhelm-Röpke-Str. 6
35032 Marburg
Tel.:06421 - 282 1110
kontakt@beratungsnetzwerk-hessen.de
| http://www.beratungsnetzwerk-hessen.de

In den anderen westlichen Bundesländern gibt es

Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus:

Baden-Württemberg

Landeskoordinierungsstelle und Beratungsstelle für regionale Netzwerkarbeit
c/o Landesjugendstiftung
Telefon: 07741 - 68 77 34
beratungsnetzwerke@jugendstiftung.de

Bayern

Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus
c/o Bayerischer Jugendring
Herzog-Heinrich-Straße 7
80336 München
Telefon: 089 - 514 58 38
Fax: 089 - 514 58 88
lks@bjr.de
| www.lks-bayern.de

Hessen

Beratungsnetzwerk Hessen
Telefon: 06421 - 282 11 10
kontakt@beratungsnetzwerk-hessen.de
| www.beratungsnetzwerk-hessen.de

Niedersachsen

Landeskoordinierungsstelle Beratungsnetzwerk c/o Landespräventionsrat Niedersachsen:

Tel.: 0511 - 122 7137
Mobil: 0176 - 101 96449
Fax: 0511 - 120 5272
nilako@lpr.niedersachsen.de
| http://www.lpr.niedersachsen.de

Nordrhein-Westfalen

Beratungsnetzwerk NRW gegen Rechtsextremismus

Regierungsbezirk Arnsberg
Haus Villigst (Träger: Evangelische Kirche von Westfalen)
58239 Schwerte
Telefon: 02304 -75 51 90
| www.gewaltakademie.de
netzwerk@afj-ekvw.de

Regierungsbezirk Münster
Geschichtsort Villa ten Hompel (Träger: Stadtverwaltung)
Kaiser-Wilhelm-Ring 28, 48145 Münster
Telefon: 0251 - 4 92 71 09
| www.mobim.info
kontakt@mobim.info

Regierungsbezirk Detmold
AKE-Bildungswerk e.V.
Südfeldstraße 4, 32602 Vlotho
Telefon: 05733 - 9 57 37
| www.ake-bildungswerk.de
rouven.schaefer@ake-bildungswerk.de

Regierungsbezirk Düsseldorf
Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz
Am Clef 58-62, 42275 Wuppertal
Telefon: 0202 - 563 27 59
| www.wuppertaler-initiative.de
sebastian.goecke@stadt.wuppertal.de
leonore.sejdijaj@stadt.wuppertal.de

Regierungsbezirk Köln
NS-Dokumentationszentrum. Info- und Bildungsstelle
gegen Rechtsextremismus
Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Telefon: 0221- 22 12 63 32
| www.nsdok.de/ibs
ibs@stadt-koeln.de

Rheinland-Pfalz

Beratungsnetzwerk Rheinland-Pfalz

Landeskoordinierungsstelle im Landesjugendamt
Telefon: 06131-967 185
beratungsnetzwerk@lsjv.rlp.de
| www.beratungsnetzwerk-rlp.de

Saarland

Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus im Saarland
c/o Adolf-Bender-Zentrum
Gymnasialstraße 5
66606 St. Wendel
Telefon: 06851 - 8082794
joern.didas@adolf-bender.de
| www.toleranz-netzwerk-saar.de

Schleswig-Holstein

Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus
Schleswig Holstein

c/o Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein
IV GRK 3
Düsternbrooker Weg 92
D-24105 Kiel
Telefon: 0431 - 988 3130
Telefax: 0431 - 988 3104
Astrid.Petermann@im.landsh.de
| www.beranet-sh.de

Opferberatungsstellen

Darüber hinaus gibt es - leider bisher nur in den östlichen Bundesländern, im Saarland und in Rheinland-Pfalz - spezielle Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt. Deren Adressen finden Sie hier:

| Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer, rassistischer und homophober Gewalt

Überregional - im Internet

gibt es die "Onlineberatung gegen Rechtsextremismus"

| www.online-beratung-gegen-rechtsextremismus.de

Dazu ein Artikel auf netz-gegen-nazis.de

Format:

Jahresrückblick 2011 - Hessen: Gaskammerpartys und terrorisierte Nachbarn

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In Hessen kriegen die rechtsextremen Parteien kein Bein auf den Boden. Dafür gibt es eine lebhafte Kameradschaftsszene, die nicht nur Bedrohungen und Outingaktionen, sondern auch Gewalt verbreiten. Besonders im Wetterau-Kreis leiden Nachbarn unter rechtsextremen Mitbürger/innen.

Die Autor_innen Verena Grün und Manfred Pfister schreiben u.a. für LOTTA – antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Ihrem Bundesland 2011, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?

Wie in den vergangenen Jahren ist in Hessen zu beobachten, dass es die NPD bis auf ein paar wenige Regionen nicht schafft, über die Bedeutungslosigkeit hinauszukommen. Stattdessen setzte sich im Jahre 2011 die Entwicklung fort, dass in Teilen Hessens immer wieder aktions- und erlebnisorientierte Gruppen von "Freien Kameradschaften" oder "Autonomen Nationalist/innen" auf sich aufmerksam machen. Auch die Dominanz von rechter Jugendkultur oder zumindest deren Akzeptanz lässt sich weiterhin in Teilen Hessens beobachten.

Bei den hessischen Kommunalwahlen im März 2011 erhielt die NPD landesweit lediglich 0,4 % der Stimmen. Im Lahn-Dill-Kreis und der Wetterau sowie in Frankfurt gelang ihr der Erhalt der meisten Mandate, im Main-Kinzig-Kreis errang sie erstmalig ein Mandat. Dies sind auch die Kreise, in denen es aktive NPD-Strukturen gibt, und es kann durchaus von kommunaler Verankerung gesprochen werden, wenn auch auf zahlenmäßig geringem Niveau. Während der Landesvorsitzende Jörg Krebs außerhalb Frankfurts eher unsichtbar bleibt, tritt sein Stellvertreter Daniel Knebel auch überregional als Redner auf. Er hielt beispielsweise Redebeiträge am 1. Mai in Heilbronn sowie im September in Trier und in Alzey.

Die "Jungen Nationaldemokraten" organisierten im Mai in Wiesbaden eine Kundgebung unter dem Motto „Gewalt gegen Deutsche – überall“. Dem Aufruf folgten etwa 25 Neonazis aus Hessen und Rheinland-Pfalz.

Wichtigstes Ereignis für die hessische Neonaziszene war eine bundesweit beworbene Demonstration der NPD am 16.07.2011 in Gießen. Der Aufmarsch war mit 135 Teilnehmer/innen eher mäßig besucht und kann als exemplarisch für den Zustand der hessischen NPD gewertet werden. Viele hessische Neonazis aus der Szene der „Freien Kräfte“ blieben der Demonstration – unter anderem aufgrund von internen Auseinandersetzungen im Vorfeld – fern, ein Großteil der AufmarschteilnehmerInnen reiste aus den umliegenden Bundesländern an. Im Vorfeld versuchten Teile der hessischen Szene einen an die Kampagne „Werde unsterblich“ angelehnten Fackelmarsch nahe Gießen durchzuführen. Die Polizei brachte die Aktion von etwa 40 Neonazis allerdings bereits im Vorfeld zum Scheitern.

In Frankfurt und Umgebung machten im vergangenen Jahr die "Nationalen Sozialisten Rhein-Main" (NSRM) des Öfteren von sich reden. Die seit 2010 unter diesem Namen auftretende Gruppe vorwiegend junger, aktionsorientierter Aktivist/innen führte im Januar einen Mini-Spontan-Aufmarsch über die Zeil, eine Frankfurter Einkaufsstraße, durch. Im Juni dann marschierten sie nach kurzer, hauptsächlich interner Mobilisierung mit etwa 55 Neonazis unter dem Motto „Freiräume erkämpfen“ durch den Stadtteil Bergen-Enkheim. Auch physische Angriffe auf politische GegnerInnen oder sonstwie „missliebige“ Personen gehören zum Aktionsrepertoire der Gruppe und ihres Umfelds, ebenso wie eine koordinierte Aktion, bei der in einer Nacht im September die Fachhochschule sowie mehrere linke Projekte und Wohngemeinschaften mit Farbe bzw. Parolen beschmiert wurden. „Anti-Antifa“-Aktivitäten scheinen für die Gruppierung insgesamt eine große Rolle zu spielen. Sie versuchten sich nicht nur an einer Outingaktion, zwei Personen wollten sogar mit Teleskopschlagstöcken bewaffnet in die Wohnung von Antifaschist/innen einzudringen. Nach Aussage einer Aktivistin verfügt die Gruppe auch über eine Liste mit Informationen über (vermeintliche) AntifaschistInnen.

In Echzell, wo die Nazigruppe „Old Brothers“ 2010 unter anderem mit einer Party für Aufregung sorgten, die in einem als Gaskammer ausstaffierten Raum stattfand, gingen die Aktivitäten weiter. AnwohnerInnen wurden einzuschüchtern versucht, auf ein Fenster des Hauses eines Nachbarn wurde mit einer Luftdruckwaffe geschossen. Im Juli wurde Patrick Wolf, der Kopf der Old Brothers wegen Verdachts auf unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln festgenommen, mittlerweile aber wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.

Vier Mitglieder der „Anti-Antifa Wetzlar“ wurden im Februar vor dem Landgericht Limburg aufgrund eines Brandanschlages auf das Haus eines antifaschistisch engagierten Pastoralreferenten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Aktivitäten wie Farbschmierereien und das Kleben von Aufklebern durch die „Anti-Antifa Wetzlar“ und die „Autonomen Nationalisten Wetzlar“ setzten sich – wenn auch mit geringerer Intensität – fort. Bestehen bleibt in Mittelhessen auch weiterhin die Verharmlosung neonazistischer Aktivitäten. Die Richterin im Prozess in Limburg bezeichnete die „Anti-Antifa Wetzlar“ als einen „losen Haufen“, der „unter dem Deckmäntelchen der Politik“ Straftaten begangen habe. Dem Opfer des Brandanschlages wird aus Teilen der Gesellschaft gar eine „Mitschuld“ attestiert.

Ähnlich stellt sich die Lage in Nordhessen dar. Hier sind sowohl die „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ als auch der „Freie Widerstand Kassel“ und die Kameradschaft „Sturm 18“ kontinuierlich aktiv. Wie weit Neonazis in Nordhessen gesellschaftlich integriert sind, zeigen zum Beispiel deren Mitgliedschaften in Freiwilligen Feuerwehren. In Kassel schaffte es gar ein ehemaliger führender Blood&Honour-Aktivist zum Wehrführer. Für Furore sorgte außerdem Daniel Budzynski, der nicht nur führendes Mitglied des „Freien Widerstands Kassel“ ist, sondern gleichzeitig auch als Schriftführer der Kasseler CDU fungierte, bis diese Doppelfunktion an die Öffentlichkeit gelangte. Gegen Ende des Jahres gründete sich mit den „Freien Kräften Waldeck-Frankenberg“ eine neue Neonazigruppierung in der Region, die gleich durch mehrere Flugblattaktionen auf sich aufmerksam machte. Ob diese Gruppe längerfristig bestehen wird, bleibt abzuwarten.

Auch in Südhessen gibt es eine neue Gruppierung. In Bensheim besteht seit geraumer Zeit eine Neonazi-Clique, die sich seit Herbst „Nationaler Widerstand Bergstraße“ nennt. Während auf der Homepage der Gruppe gegen das Bensheimer Jugendzentrum gehetzt wird, wurden und werden aus diesem Umfeld auch des Öfteren Menschen beleidigt oder auch angegriffen.

Zu einer Neugründung kam es außerdem in den Gießener Hessenhallen: Im Juni konstituierte sich dort der hessische Landesverband der rechtspopulistischen Partei „die Freiheit“. In Gießen zeigte die extrem rechte Burschenschaft „Dresdensia Rugia“ einmal mehr, wo sie zu verorten ist, als sie einen Vortrag mit dem sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Arne Schimmer organisierte. Die extrem rechte Burschenschaft "Germania" aus Marburg hingegen sagte einen Vortrag mit dem Revisionisten Pierre Krebs kurzfristig wieder ab. Dies dürfte allerdings weniger einem plötzlichen Gesinnungswandel als dem öffentlichen Druck geschuldet gewesen sein.

Wie sind die Erwartungen für 2012?

Es ist kaum zu erwarten, dass sich die hessische NPD im nächsten Jahr von ihrer Schwäche erholen wird – fehlt ihnen doch bis auf wenige Ausnahmen dafür das entsprechende fähige und integrierende Führungspersonal. Inwieweit die hessischen „freien Kräfte“ sich weiter etablieren können, wird unter anderem von ihrer Vernetzung und dem Durchhaltevermögen der "NSRM" bzw. dem "Freien Netz Hessen" abhängen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass Gruppen aus diesem Spektrum weiter bestehen werden und von diesen auch weiterhin eine Gefahr für MigrantInnen und AntifaschistInnen ausgeht. Die erstmalige tatsächliche Umsetzung von „Outingaktionen“ durch die „NSRM“ - wenn auch oft noch sehr unprofessionell - stellt auf jeden Fall eine neue Facette rechter Aktionsfelder in Hessen dar. Ob diese 2012 so weitergeführt werden, bleibt abzuwarten.

Die Fragen stellte Jan Rathje.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

Jahresrückblicke 2011

| Baden-Württemberg: Gewalttätige und bewaffnete Nazi-Strukturen
| Berlin: Brandanschläge und verheimlichte Demonstrationen
| Brandenburg: "Spreelichter" und "Unsterbliche"
| Bremen: Von Wahlkampf und unpolitischen Überfällen
| Hamburg: Rechtsextreme PR-Offensive
| Hessen: Gaskammerpartys und terrorisierte Nachbarn
| Nordrhein-Westfalen: Nazis setzen auf Islamfeindschaft und Gewalt
| Saarland: Proteste gegen "Deutschenfeindlichkeit" undPotenzielle NSU-Morde
| Sachsen: Ein Todesopfer, eine Terrozelle und viele Nazi-Events
| Schleswig-Holstein: Legitimationsstrategie im Landtagswahlkampf

2010

| Jahresrückblick 2010 - Mittelhessische Neonazis werden aktiver und die NPD angriffslustiger

Ressorts (Netz gegen Nazis):

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Erfolgreiche Proteste gegen NPD-Landesparteitag im hessischen Altenstadt

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Altenstadt hat mit dem friedlichen und erfolgreichen Protest gegen die NPD ein starkes demokratisches Bewusstsein gezeigt. Die von der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. verteilten weißen Rosen wurden zum Symbol der Kundgebung. Das eigentliche Nazi-Problem sind in Hessen allerdings die "freien Kameradschaften".

Von Andreas Balser, Antifaschistische Bildungsinitiative

Es gab ca. 15 verschiedene Redebeiträge durch die verschiedenen Parteien(SPD, Grüne, Linke), Landtagsabgeordnete, Initiativen gegen rechts (u.a. Antifa-BI e.V., ANK Frankfurt, VVN-BDA FFM, Grätsche) und durch religiöse Gruppen und Vereine aus Altenstadt. Die Unterschiedlichkeit der Kundgebungsteilnehmer ist eine nicht zu unterschätzende Stärke der Zivilgesellschaft. Für eine relativ kurzfristig organisierte Aktion in einer Stadt, in der es bis dahin kein Anti-Nazi-Bündnis gab, war der Protest ein erfolgreicher erster Schritt. Ein besonderer Dank gilt dem engagierten Anmelder der Grünen Altenstadt. Durch die positiven Reaktionen der Vereine, Kirchen und Parteien sowie vieler Einzelpersonen gibt es eine breite Ablehnung gegen die Neonazis in Altenstadt. Dies ist eine sehr gute Grundlage für die weitere politische Arbeit vor Ort, die die Antifa-BI e.V. auch in Zukunft weiter unterstützen wird.

Der NPD-Parteitag
Der NPD-Landesparteitag war mit etwa 50, fast ausschließlich männlichen, Personen schwach besucht. An der späteren rechten Konzertveranstaltung nahmen etwa 100 Personen, darunter mehrere aus anderen Bundesländern, teil. Die als Bürgerveranstaltung beworbene Aktion der NPD war somit vom Charakter her eine interne und fast rein männliche Feier der rechtsextremen Szene. Die Hessen NPD scheint für Frauen nicht attraktiv zu sein.

"Freie Kräfte" bestimmen das Vorgehen
Eine Aufbruchstimmung bei der NPD Hessen ist trotz der massiven Selbstdarstellung nicht erkennbar. Jedoch ist in naher Zukunft mit weiteren aktionistischen Veranstaltungen der Partei in Mittelhessen und dem Rhein-Main-Gebiet zu rechnen. Die stärkere öffentliche Annäherung an die „freien Kräfte“ ist keine Überraschung, denn bei den letzten Demos der NPD in Hessen stellten sie, darunter viele durch Gewalttaten aufgefallene Gruppen, die überwiegende Mehrheit der Demonstranten.

In Hessen sind diese „freien Kräfte“ z.B. die "Anti-Antifa-Wetzlar", deren Mitglieder für einen Brandanschlag auf das Haus eines Kirchenangestellten und somit wegen versuchten Mordes an einer Familie verurteilt wurden, oder die „Freien Kräfte Schwalm Eder“, deren bekanntestes Mitglied Kevin S. mit einem Klappspaten auf ein 13-jähriges, schlafendes Mädchen eingeschlagen und dies lebensgefährlich verletzt hat. Auch die „Old Brothers“ aus Echzell sind diesem Spektrum zuzurechnen.

Ohne die Strukturen der „freien Kräfte“ wäre die NPD in Hessen flächendeckend nicht mehr existent. Dies ist in Bezug auf die NPD kein Grund zur Entwarnung, denn der neue geschäftsführende NPD-Vorstand setzt sich mit Daniel Knebel als Vorsitzendem und Stefan Jagsch als einem der 3. Stellvertreter zur Hälfte aus Altenstädtern zusammen. Mit Daniel Lachmann aus Büdingen als weiterem Stellvertreter gibt es eine massive Ballung der NPD-Funktionäre in Altenstadt und Büdingen und hier sitzt nun das organisatorische Zentrum eines großen Teils der rechtsextremen Szene in Hessen. Der östliche Wetteraukreis und der Main-Kinzig-Kreis sind die Hochburgen der NPD in Hessen.

Die Antifa-BI e.V. hat seit letzter Woche 3.000 Flyer mit dem Titel „Daniela Flachmann und das NPD-Parteiprogramm“ in Altenstadt verteilt, an vielen Treffen, Veranstaltungen und Sitzungen teilgenommen und viele Kontakte in der Stadt geknüpft. Am Samstag Vormittag wurden die weißen Rosen inkl. des Flyers „Weiße Rose gegen braune Gewalt“ in Altenstadt und später bei der Kundgebung in der Waldsiedlung verteilt. Hier hatte die Antifa-BI e.V. eine Gedenkecke für die 182 Opfer der rechten Gewalt seit 1990 aufgebaut und einen größeren und gut besuchten Infostand betrieben.

Die Antifa-BI e.V. bietet allen interessierten Personen, Städten und Vereinen die Mitarbeit oder Mitgliedschaft an. Vorträge über die NPD und Neonazi-Szene sowie ihrer Zeichen und Codes können per Mail an kontakt@antifa-bi.de auch kurzfristig angefragt werden. Diese sind individuell gestaltet und eignen sich für Schulklassen, politisch interessierte Menschen oder Multiplikatoren. Auf der Homepage www.antifa-bi.de sind weitere Infos über Neonazis zu finden.

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Rechte Alltagskultur: Wenn "Ruhm und Ehre" der Dachbeschichtung gebühren

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Netz-gegen-nazis.de berichtet immer wieder, dass es in manchen Regionen, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, eine "rechte Alltagskultur" gibt. Wie so etwas aussieht, zeigt das Beispiel der Werbestrategien einer Dachbeschichtungsfirma aus Niendorf/Schwaan (Landkreis Rostock). Ein Leser von netz-gegen-nazis.de wunderte sich darüber - wir wundern uns mit.

Von Milla Frühling

Die Firma "Dachtuning" aus Niendorf/Schwaan im Landkreis Rostock kennt sich aus mit Dachbeschichtungen, sagt sie auf ihrer Internetseite. Eine Spezialität: Die Nanotech-Beschichtung. Die bewirbt das Unternehmen auf ihrer Webpräsenz so: "Ruhm und Ehre unserem Druiden, der das Zauberzeug erfunden hat." Eine Kombination aus NS-Sprache und heidnischer Esoterik, die einen in ihrer Verwendung im Arbeitszusammenhang schon verwundert. Aber an der Präsentation der Firma verwundert noch mehr: Das Firmenlogo ist ein zähnefletschendes Tier, irgendwo zwischen Panther und Pitbull, mit einem Stacheldrahthalsband mit "Germany"-Aufschrift, dazu der Firmenname in einer altmodischen Serifenschrift. Ein Slogan der Firma: "Dachtuning.de! Genau! Wir motzen ihr Dach auf! Ruhm und Ehre" (gepostet auf Facebook von "Schwarzes Schaf Dachtuning" am 12. Januar).

Screenshot von der Facebook-Präsenz der Firma

Unter der Rubrik "Dachtuning im Einsatz" posiert ein mutmaßlicher Mitarbeiter vermummt neben einem Firmenwagen. Die Mitarbeiter des Unternehmens kommen übrigens in eigener Arbeitskleidung, die auch im Shop der Seite käuflich erworben werden kann. Die Shirts tragen Aufdrucke wie "Gehasst - verdammt - vergöttert" (aktuell im Shop - so heißt ein Song der "Böhsen Onkelz") oder "Glaube Ehre Mut" (am 1. Juli auf Facebook gepostet). Es gibt auch einen "Dachtuning"-Kaffeebecher, der einen Henkel in Schlagring-Form hat. Ebenfalls zu erwerben: Bekleidung mit dem Logo des zum Unternehmen gehörigen Tattoo-Studios "Schwarzes Schaf" in Rostock. 

Ein Mitarbeiter posiert, Screenshot von Facebook

Insgesamt interessant ist die sehr aktive Facebook-Seite des Unternehmens. Hier postet "Dachtuning.de" etwa ein Bild von einer (schwarzen) Hand mit zerissener Kette, die eine weiße Hand mit Peitsche festhält. Dazu der Kommentar: "Freiheit für ..." Die Nutzer*innen der Seite kommentieren, welches Land Freiheit braucht. Beliebt sind Palästina und Deutschland. Ein anderes Bild zeigt die Olympischen Ringe aus Stacheldraht mit dem Beisatz "Gaza 2012". Der Kommentar: "Welche Überschrift passt zu diesem Foto? Wir überlassen euch Fans die Wahl!" Das ist geschickt. Es wird ein Thema impliziert. Aber die Ausführung überlässt man anderen. Nutzer*innen, die auf der Facebook-Seite kommentieren, heißen etwa "Wotan der Braune".

Mit solchen Bildern präsentiert sich das Unternehmen auf Facebook. Den Kund*innen gefällt es offenbar.

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass es auf den "Dachtuning"-Internetpräsenzen um mehr als das Beschichten von Dächern geht. Sven Pannwitt, der sich in Internetforen als Inhaber zu erkennen gibt, bestreitet dies allerdings vehement: Sein Dachsanierungsbetrieb hat auf der Facebook-Präsenz sogar eine "Idiologie" (Fehler im Original). Dort heißt es unter der Überschrift: "Alles Nazis?": "Aufgrund unserer Schriftart und der vielen schwarzen Transporter wurden wir schon oft gefragt, ob wir rechter Gesinnung sind. Diesen Vorwurf können wir besten Gewissens verneinen. Unser Schriftzug ist Old London ( hat also nichts mit Nazi zu tun) und die Autos haben wir schwarz lackiert, weil wir uns optisch von unseren Mitbewerbern absetzen wollten. Diese Firmenstrategie hat uns mehr Vorteile gebracht als Nachteile." Letzteres scheint zu stimmen. Die Firma hat nach eigenen Angaben Standorte in Niendorf, Storkow, Bremen, Paderborn, Erlangen und Hanau. Um Missverständnissen vorzubeugen - man hört, P. klage gern -: Vielleicht ist "Dachtuning" ein unpolitisches Unternehmen - auf alle Fälle tut es nichts Verbotenes.  Es ist aber ein Unternehmen, dass offensiv mit (legaler) rechter und gewaltgutheißender Symbolik spielt. Die Entscheidung bleibt also beim Kunden oder bei der Kundin. Die müssen sich überlegen, ob sie sich diese Menschen aufs Haus holen möchten.

P.S.: "Dachtuning" ist übrigens auch Sponsor für einen Triathlon beim Tri Fun Güstrow e.V. - neben McDonalds, der örtlichen Feinbäckerei und anderen. Offenbar ein Teil der Alltagskultur? Der Verein äußert dazu auf Nachfrage von netz-gegen-nazis.de: "So ein Gerücht wurde auch schon an uns herangetragen. Nach einem Gespräch mit der Firmenführung wies diese eine rechte Gesinnung weit von sich. Sie meinten nur, dass wir die Schriftart auch ändern könnten, wenn es daran liegt. "

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17.11.2012, Wiesbaden (3. Liga)

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Ein Zuschauer singt während der zweiten Halbzeit des Drittliga-Spiels SV Wehen Wiesbaden gegen Kickers Offenbach auf der Haupttribüne ein Lied, in dem der "Offenbacher Judenklub" geschmäht wird. SVWW-Pressesprecher Daniel Mucha, der Ohrenzeuge ist, schreitet ein und ruft einen Ordner herbei. Dieser nimmt die Personalien des Zuschauers auf. Kurz danach verhängt der SVWW ein Stadionverbot gegen den Zuschauer. "Beim SV Wehen Wiesbaden gibt es keinerlei Platz für Rassismus und Antisemitismus. Mit diesem ersten Schritt wollen wir unsere klare Ablehnung gegenüber jeder Form von Diskriminierung unterstreichen", so Präsident Markus Hankammer.

Quelle: www.sport1.de/de/fussball/fussball_dritteliga/newspage_640709.html

Quelle: newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1386339

 

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Konflikte zwischen rechten Parteien und "Freien Kräften": Ein Jahresrückblick aus Hessen

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Mit der Neugründung der rechtsextremen Partei "Die Rechte" erhält die mit internen Streitereien beschäftigte NPD ab diesem Jahr Konkurrenz. Deren Jugendorganisation ist derweil aktiver und provoziert am 10. November mit einem Fackelmarsch, an dem sich auch neu gegründete Kameradschaften beteiligen. Die Identitären treten mit zwei Aktionen in Frankfurt in die Öffentlichkeit. In derselben Stadt schockiert im Oktober ein Vorfall rassistischer Polizeigewalt.

Ein Beitrag von Verena Grün im Auftrag vom Netzwerk für Demokratie und Courage, Landesnetzwerk Hessen

Die Aktivitäten der extremen Rechten in Hessen blieben auch 2012 auf eher niedrigem, aber kontinuierlichem Niveau. In Hessen wurden verschiedene kleinere Aktionen durchgeführt, es gab Gewalttaten und Prozesse, hessische Neonazis beteiligten sich an vielen Aufmärschen in anderen Bundesländern. Doch die hessische Szene bleibt mobilisierungsschwach, die Zusammenarbeit zwischen NPD und Freien Kräften funktioniert nur sehr bedingt und mit der Gründung eines Landesverbands der Partei "Die Rechte" und dem Auftritt der "Identitären Bewegung" ergibt sich neues Konfliktpotenzial.

Fackelmarsch der JN

Für den 10. November rief die JN Hessen zu einem Fackelmarsch nach Hünfeld bei Fulda auf. Ein Verbot des Aufmarschs durch den Bürgermeister scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Kassel. Dennoch reisten nur 80 Neonazis, größtenteils aus Hessen und Niedersachsen, an. Das Motto lautete "Damals wie heute – Freiheit erkämpfen”. Einen Tag nach dem Jahrestag der Novemberpogromen durchaus doppeldeutiger Slogan. Ein direkter Bezug darauf wurde von den Rednern jedoch vermieden. Man wolle an den Mauerfall und das Ende der DDR erinnern, daher habe man auch Hünfeld gewählt, als einen Ort ganz in der Nähe der damaligen innerdeutschen Grenze. Die Symbolik des Fackelmarschs und ein Transparent, auf dem SA-Männer abgebildet waren, weckten jedoch andere Assoziationen.

Während aus dem übrigen Hessen nur vereinzelt Aktivist_innen nach Hünfeld kamen, war Osthessen relativ stark vertreten. Mit der seit diesem Jahr in Erscheinung tretenden "Bruderschaft Hessen", die sich in Fulda und Hanau zu verorten scheint, und dem neu auftauchenden "Sturm Fulda" reisten zwei osthessische Kameradschaften mit eigenem Transparent an.

Im Vorfeld des Aufmarschs hatte der JN-Landesvorsitzende Martin Braun dem DGB in Fulda einen Besuch abgestattet. Unter falschem Namen und mit angeblichen Problemen in der Ausbildung wollte er sich anscheinend einen Eindruck vom "politischen Gegner" verschaffen.

"Solidarität" mit den verbotenen Kameradschaften aus NRW

Als Reaktion auf die Verbote von vier nordrhein-westfälischen Kameradschaften organisierten die Nationalen Sozialisten Ried am 25. August in Bensheim (Südhessen) einen Aufmarsch unter dem Motto "Gegen staatliche Repression – für echte Meinungsfreiheit". Zu der nur intern beworbenen und als Eilversammlung angemeldeten Veranstaltung kamen 30 Neonazis aus der Region. Da nichts im Vorfeld bekannt geworden war, konnten sie ungestört durch die Innenstadt ziehen.

In der folgenden Woche offenbarte die Lokalzeitung "Starkenburger Echo" eine ganz eigene Art journalistischer Absurdität: Ein Mitarbeiter führte ein telefonisches Interview mit dem Veranstalter. Teile des Interviews wurden in Textform völlig unkritisch unter der Überschrift "Der Organisator gibt Auskunft" veröffentlicht.

Am Tag des verbotenen "Nationalen Antikriegstags" in Dortmund beteiligten sich Mitglieder des Freien Netz Hessen an einer Kundgebung gegen die erlassenen Verbote in Erfurt.

Ein für den 1.September angekündigter Protest gegen das Verbot der von der hessischen JN kurzfristig angemeldeten Demonstration in Bad Arolsen wurde ohne Begründung wieder abgesagt.

Die NPD

Die NPD in Hessen kämpft weiterhin mit Mitgliederschwäche, Schwierigkeiten in bzw. Inaktivität von Kreisverbänden und internen Unstimmigkeiten. Daran änderte sich auch unter dem neuen Landesvorstand mit Daniel Knebel als Vorsitzendem nichts. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Jörg Krebs, der eher als Lückenbüßer galt, tritt Knebel immer wieder als Redner außerhalb Hessens in Erscheinung und ist stärker in die hessische Naziszene eingebunden. Doch weiterhin verharrt die Partei in Lethargie und ist mit sich selbst beschäftigt.

Vereinzelt gab es öffentliche Aktionen, man beteiligte sich beispielsweise an den Aktionstagen gegen den Euro mit Infoständen und Flugblattverteilungen – teilweise mit Eselsmasken.

Die Stationen des Flaggschiffs, das im Sommer mit NPD-Aktivisten durch Deutschland tourte und täglich zwei Kundgebungen durchführte, waren in Hessen nur kümmerlich besucht. Regionale Beteiligung gab es kaum.

Auch zu den zwei Kundgebungen anlässlich des Tags der offenen Moschee am 3. Oktober ließen sich kaum Mitglieder aktivieren.

Die JN wählte einen neuen Landesvorstand und  Landesvorsitzenden. Diese Neubesetzung scheint zu einer kleinen Belebung der Struktur geführt zu haben. Neben der Teilnahme an verschiedenen überregionalen Aufmärschen mit eigenem Transparent (u.a. in Hamburg und Bad Nenndorf) und der Organisation des Fackelmarschs, wurde im Sommer auch ein Zeltlager am Edersse (Nordhessen) durchgeführt.

Gründung "Die Rechte" Hessen

Gestern NPD-Bürgermeisterkandidat, heute Vorsitzender der Konkurrenz: So ließe sich die Karriere von Pierre Levien beschreiben. Bis vor kurzem war er Kreisvorsitzender im Main-Kinzig-Kreis, trat sogar für die NPD zur Bürgermeisterwahl in Gelnhausen an, dann verließ er die Partei im Streit und gründete einen Landesverband der Partei "Die Rechte". Diese von dem langjährigen Neonazi Christian Worch im Mai gegründete Partei hat bisher nur einen weiteren Landesverband: in Nordrhein-Westfalen, wo Mitglieder der verbotenen Kameradschaften den Landesverband gründeten.

Nicht nur ist der NPD damit ein relativ aktiver Parteimann weggebrochen, auch könnte die neue Partei weitere mit der NPD unzufriedene Mitglieder abwerben und nicht zuletzt die szeneinternen Differenzen weiter vertiefen.

Echzell

In den beiden letzten Jahren hat Patrick Wolfmit seinen "Gaskammer-Partys" makabre Berühmtheit erlangt. Im Frühjahr dieses Jahres erweiterte sich sein umfangreicher Anklagenkatalog um einen Verstoß gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz Die Waffen waren bereits im Vorjahr gefunden worden, worüber die Öffentlichkeit nicht informiert worden war.

Nach 15 Verhandlungstagen wurde Wolf am 3. Dezember wegen Drogenhandels, Beleidigung, Volksverhetzung und Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt.

Die "Identitären"

Die sogenannte Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) trat in Frankfurt zum ersten Mal aus dem virtuellen in den öffentlichen Raum – allerdings nur zu dritt. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Interkulturellen Wochen in Frankfurt platzten drei junge Männer in den Saal und tanzten zu lauter Musik aus einem mitgebrachten CD-Player. Sie trugen Masken sowie Schilder mit der Parole "Multikulti wegbassen" bzw. dem Kürzel IBD. Nach wenigen Minuten waren sie wieder verschwunden, ein selbstgedrehtes Video der Aktion mit dem Titel "Tanz die reconquista" wurde schnell bei YouTube eingestellt. Bereits in den Wochen vorher waren etliche Facebook-Profile von Gruppen der "Identitären" aus verschiedenen Städten deutschlandweit aus dem Boden geschossen. Eine Einordnung fällt derzeit noch schwer. Es bestehen Verbindungen in die Neonazi-Szene, aber auch zum Rechtspopulismus.

Am 1. Dezember fand ebenfalls in Frankfurt ein erstes Treffen statt, nach Eigenangaben mit 50 Teilnehmenden aus Deutschland, Österreich und Italien. Bestandteil des Treffens war eine ähnliche Tanzaufführung – dieses Mal vor einer Frankfurter Moschee.

Rassistische Polizeigewalt

Im Oktober sorgte ein rassistischer Vorfall in Frankfurt für große mediale Aufmerksamkeit. Dieses Malwaren allerdings keine organisierten Neonazis beteiligt, sondern Fahrkartenkontrolleur_innen und Beamte der Polizei. Der Deutsch-Äthiopier Derege Wevelsiep, seine Verlobte und ihr Kind wurden im Anschluss an eine Fahrkartenkontrolle von den Kontrolleur_innen und der Polizei drangsaliert und mit den Worten: "Ihr seid hier nicht in Afrika" rassistisch beleidigt. Die von den Kontrolleur_innen hinzugerufenen Polizeibeamten nahmen  Wevelsiep fest, , schlugen und traten ihn und verschafften sich unerlaubt Zugang zu seiner Wohnung, um den Ausweis, den er nicht bei sich getragen hatte, zu holen. Seine Verlobte fand   Wevelsiep später bewusstlosim Schlafzimmer, worauf hin er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. .

Der Vorfall ist leider kein Einzelfall, weshalb Amnesty International und hessische Politiker der Grünen, SPD und der Linken sich für eine unabhängige Beschwerdestelle aussprechen. Dieser Vorschlag wurde vom hessischen Innenministerium abgelehnt. Die Polizei, gegen deren Beamte Wevelsieps Anwalt Strafanzeige erstattet hat, und die zuständige Staatsanwaltschaft verweigern bisher jegliche Stellungnahme. In Hessen sorgte der Fall damit lediglich für eine kurze Diskussion um rassistische Polizeigewalt. Die Zivilgesellschaft demonstrierte  gegen Rassismus in deutschen Behörden.

Erwartungen für 2013

Für 2013 sind keine größeren Veränderungen in der hessischen Neonaziszene zu erwarten. Interessant bleibt jedoch das Verhältnis zwischen NPD und Die Rechte. Neben den Bundestagswahlen stehen in Hessen auch Landtagswahlen an. Die Ergebnisse der NPD sind bis auf wenige Kommunen äußerst niedrig. Auch hieran dürfte sich nichts ändern. Lediglich der Wahlkampf könnte zu zunehmenden Aktivitäten der NPD und JN führen.

Wahrscheinlich mit Blick auf den Wahlkampf plant die NPD am 1. Mai eine "Großkundgebung" in Frankfurt. Auch hier wird sich ablesen lassen, ob es der Partei gelingt, ihre Attraktivität und Mobilisierungsfähigkeit zu steigern.

Ein weiterer Faktor, der Bewegung in die Szene bringen könnte, ist das angestrebte NPD-Verbot.

Als sicher kann demgegenüber angenommen werden, dass sich am gesamtgesellschaftlichen Rassismus – und damit auch dem polizeilichen – leider! nichts ändern wird. Aber vielleicht gelingt es mit den Nachwirkungen des NSU und dem jüngsten Vorfall in Frankfurt, Sensibilität und Solidarität zu steigern.

Mehr im Internet:

Netzwerk für Demokratie und Courage, Landesnetzstelle Hessen

LOTTA -antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen

redaktionelle Betreuung: Theresa Heller

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28.1.2012, Fulda (3. Liga)

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Auf dem Rückweg vom Spiel Kickers Offenbach gegen Chemnitzer FC beleidigt ein Anhänger des sächsischen Klubs eine Gruppe Jugendlicher als "Kanaken" und "Kanakengelumpe". Ein Jahr später sieht ein Gericht die Beleidigung aufgrund eines Polizeivideos als erwiesen an. Volksverhetzung liege aber nicht vor. Deshalb wird das Verfahren gegen die Zahlung von insgesamt 200 Euro an die Anne-Frank-Stiftung eingestellt.

Quelle: Fuldaer Zeitung

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Zentrum der "Neuen Rechten" in Karben: Politische Angriffe von Rechtsaußen

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In jüngster Zeit hat sich im hessischen Karben ein Zentrum der "Neuen Rechten" entwickelt. Schnell formierte sich breiter Widerstand gegen den Versuch der Rechtsextremen, sich in Karben einzunisten. So wurde schließlich das Bürgerbündnis "Für ein offenes Karben – NULL Toleranz bei Rechtsextremismus" gegründet. Doch wer sind eigentlich die Gruppierungen, die sich vor Ort in der "Neuen Rechten" sammeln? Ein Überblick.

Eine Zusammenstellung der Antifaschistische Bildungsinitiative e. V.

In Karben ist vor einigen Wochen ein Zentrum der "neuen Rechten" entstanden. Dies wurde zuerst durch Veröffentlichungen auf einschlägigen Blogs der "Identitären" bekannt. Hier wurde am 13.05.2013 geschrieben: "Am vergangenen Samstag kamen 'Identitäre' aus dem Rhein-Main-Gebiet in Karben bei Frankfurt zusammen, um in Zusammenarbeit mit dem 'Institut für Staatspolitik (IfS)' den Grundstein für eine 'Identitäre Projektwerkstatt' zu legen." Und weiter "Im Laden werden zum einen Material aus dem identitären Versand wie Aufkleber, Flyer, T-Shirts und Fahnen zu finden sein, zum anderen wird es auch Studien des IfS, die Zeitschrift 'Sezession' und 'Blaue Narzisse' sowie andere gesellschaftskritische Bücher geben." Neben der Auslage von Büchern, Aufklebern und Zeitungen wurde angekündigt, dass es auch ein Raum und Treffpunkt für extrem rechte Gruppen werden soll. "Für politische Vorträge, Zwischentage und Arbeitsphasen eignen sich die Räumlichkeiten ebenfalls bestens. Die Zwischentage der Identitären werden jeden Monat in diesen Räumlichkeiten stattfinden."In einem Schaufenster der Projektwerkstatt wurden Aufkleber der "Identitären" ausgelegt und präsentiert. Dies wurde von uns dokumentiert.

Danach formierte sich in Karben sehr schnell ein breiter politischer Widerstand von der Stadt Karben über verschiedene Vereine bis hin zur Schule. Bei einer Pressekonferenz wurde die Ablehnung dieses rechten Raumes deutlich gemacht und die Gründung eines Bürger_innenbündnisses vorgeschlagen. Hierüber berichteten auch verschiedene Zeitungen: Frankfurter Neue Presse und Wetterauer Zeitung

Auch die Hessenschau hat einen 5-minütigen Bericht zur Situation in Karben gedreht. Zusätzlich gibt es beim hessischen Rundfunk eine Sonderseite zum Thema. Hier sind auch mehrere Radiobeiträge zu finden, in denen auch wir zu Wort kommen.

Kurz vorgestellt: Wer sind die genannten Gruppen?

Die "identitäre Bewegung" besteht aus mehreren lose verbundenen Gruppierungen, die von der "Neuen Rechten" entwickelte Ideen des Ethnopluralismus aufgreifen. Ziel ist die Behauptung einer "Identität", die die Protagonisten dieser Gruppen von einer befürchteten Islamisierung bedroht sehen." In Hessen gibt es mehrere Neonazigruppen (z.B. im Lumdatal), die offen mit den Identitären zusammenarbeiten. Zitat der Neonazis: "Im Lumdatal sind auch die Identitären wirklich national." Wer sich über dass, was die letzten Monate im Lumdatal so "wirklich nationales" passiert ist, informieren möchte, kann dies hier tun: Rechte randalieren bei Bürgermeisterin (Gießener Allgemeine) und auf der Seite "Nazifreies Lumdatal".

Neonazis und Identitäre in Hessen im Lumdatal

Neonazis und Identitäre in Hessen im Lumdatal

Da erzählt wird, dass in der Projektwerkstatt ja nie Material der Identitären ausgelegt hätte- hier der Gegenbeweis

Da erzählt wird, dass in der Projektwerkstatt ja nie Material der Identitären ausgelegt hätte- hier der Gegenbeweis

Das "Institut für Staatspolitik" gehört wie die Zeitschrift "Sezessionen" zum "Verein für Staatspolitik". Dieser "Verein für Staatspolitik" verlegt die Sezessionen und sammelt die Beiträge für das "Institut für Staatspolitik" ein, dass kein eingetragener Verein ist. Das Institut für Staatspolitik wäre gerne eine "Denkfabrik" der rechten Szene. Der Betreiber der Projektwerkstatt Andreas L. aus Karben ist Vorsitzender des "Verein für Staatspolitik".

"Das Institut für Staatspolitik ist, wie die Zeitschrift Sezession, ein Zweckbetrieb des Vereins für Staatspolitik e.V., eines eingetragenen, gemeinnützigen Vereins, den es seit mittlerweile 13 Jahren gibt und der seitdem kontinuierlich gearbeitet hat." Dies dürfte auch die vielen Artikel zu seiner Projektwerkstatt in dem von diesem Verein herausgegebenen Publikationen erklären.

Hier ein sehr aussagekräftiges Video von 3sat, in dem einige Vorstandskollegen aus dem "Verein für Staatspolitik" des Karbener Andreas L. zu sehen sind.

Nachdem weitere Zeitungsberichte erschienen sind, hat sich die "Projektwerkstatt" von Nazis distanziert und zum Grundgesetz bekannt. Dies ist für Gruppen der "Neuen Rechten" nichts Ungewöhnliches. Auch wurde sich seitens der Projektwerkstatt von Gewalt distanziert. Auf der inzwischen eingerichteten Facebookseite der Projektwerkstatt erschien folgendes Bild. Dieses wurde auch von der "Projektwerkstatt Karben" geliked.

Wie sich das Bild mit der von der Projektwerkstatt geforderten “Bedingungslose Ablehnung von Gewalt gegen Personen und Sachen” vereinbaren lässt?Das "Institut für Staatspolitik" hat vor kurzem nach einem starken überparteilichen Protest in Bad Pyrmont (Niedersachsen) seine dortigen Versammlungsräume verloren. Selbst der stramm konservativen "Landsmannschaft Ostpreußen" war das dortige Treiben zu heftig. Mit der Begründung, dass Kontakte des "Instituts für Staatspolitik" zur NPD bestünden, distanzierte sich die Landsmannschaft von diesem und kündigte die Räumlichkeiten. Hier ein Auszug aus der Erklärung der "Landsmannschaft Ostpreußen": "Die Landsmannschaft wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das sogenannte 'Institut für Staatspolitik' nach eigenen Angaben führender Personen dieser Einrichtung mit höherrangigen NPD-Funktionären zusammenarbeitet und diese sogar ausbildet. Darüber hinaus ordnet sich das so genannte Institut für Staatspolitik selbst der sogenannten 'Neuen Rechten' zu. Der Begriff 'Neue Rechte' steht für eine politische Ausrichtung, die die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates anstrebt und versucht, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern."(Quelle: PM der "Landsmannschaft Ostpreußen") Auch der Stadtrat von Bad Pyrmont hat schnell und klar reagiert und sich in einer Resolution klar gegen das "Institut für Staatspolitik" ausgesprochen. (Siehe hierzu den Bericht des NDR)

Die "Projektwerkstatt Karben" wirbt auf ihrer Facebook-Seite auch für "Literatur" des Verlages "Antaios". Der Verleger sitzt auch im Vorstand des "Vereines für Staatspolitik". Viele der Autoren sind der "neuen Rechten" zuzuordnen, andere kommen aus dem konservativen Spektrum.

Einer der Autoren hat das Pseudonym "Fjordman": Anders Breivik ist der Verurteilte norwegische Neonazi und Massenmörder, der für einen Bombenanschlag in Oslo und wegen Mordes an 77 Menschen verurteilt wurde. Er hat wegen seiner absolut menschenverachtenden Einstellung einen Bombenanschlag verübt und ist danach zu einer Insel gefahren, um dort 69 Mitglieder der Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokraten zu ermorden. Bei der Gerichtsverhandlung hat er sich in seinem "Manifest" auf "Fjordman"berufen. (Ein ausführlicher Bericht hierzu bei Spiegel Online) Ein Buch von "Fjordman" beim "Verlag Antaios" mit dem Titel "Europa verteidigen. Zehn Texte" wird in einer Rezension wie folgt beworben: Als Werk, "das durch die Radikalität seines Tons provoziert und zugleich diese Radikalität rechtfertigt".

Woher kommen die "Freunde" der Projektwerkstatt?

Nach den massiven Störungsversuchen der Gründungsveranstaltung des "Bündnis offenes Karben" fragen sich viel Menschen, woher die Rechten gekommen sind. Die Antwort ist einfach: Viele gehörten den Identitären und dem Umfeld des "Vereins für Staatspolitik" an. Andere, wie die zwei Vertreter der NPD (Daniel L. und Stefan J.) und der Vertreter der hessischen REP (Matthias O./FFM) haben den Saal nicht betreten und sind draußen geblieben.

Hier ein Vergleich zwischen dem" demokratischen Bündnis offenes Karben" und der "Projektwerkstatt Karben":

Die Unterstützer des "Bündnis offenes Karben" kommen überwiegend aus Karben, die der Projektwerkstatt aus FFM und den rechten Gruppen in FB.

Bündnis "Für ein offenes Karben – NULL Toleranz bei Rechtsextremismus" gegründet: 500 Menschen machen mit

Am 13. Juni 2013 haben etwa 500 Bürgerinnen und Bürger im Bürgerzentrum in Karben das Bündnis "Für ein offenes Karben – NULL Toleranz bei Rechtsextremismus" gegründet. Hierbei versuchten Personen aus der rechten Szene, mit ihrer Wortergreifungsstrategie (siehe auch hier) die Bündnisgründung zu stören und wurden des Saales verwiesen. Danach gründete sich das Bündnis. Viele Informationen zur Bündnisgründung sind auf der Seite der Initiative "Stolpersteine in Karben" zu finden. Hier wird auch auf die Aktionen rechter Gruppen in Karben eingegangen.

Aktiv werden beim Bündnis offenes Karben?

E-Mail an: offeneskarben@gmx.de oder per Post: Stadtverwaltung Karben. Rathausplatz 1, 61184 Karben. Die Menschen in Karben können in naher Zukunft mit der gesellschaftlich breiten Unterstützung vieler Gruppen, Verbände und Parteien aus Hessen rechnen, um gemeinsam den friedlichen Widerstand zu organisieren. Hier sind wir erst ganz am Anfang.

Presse hierzu:

Karbener setzen klares Zeichen gegen Rechts (Wetterauer Zeitung)

Karben sendet ein klares Signal (Frankfurter Neue Presse)

Die "Projektwerkstatt Karben" bekennt sich auch zur "Achtung der Menschenwürde und Respekt vor Andersdenkenden".

Nach der Gründung des Bürgerbündnisses lief sich die extrem rechte Bloggerszene warm. Mehrere Menschen aus dem Bündnis wurden diffamiert, persönlich angegriffen und beleidigt. Es wird mit einer unglaublichen Radikalität versucht, das Projekt zu verteidigen. Diese grenzt in einigen Fällen schon an Fanatismus. Was hier gelaufen ist, hat mit "Respekt von Menschenwürde und Andersdenkenden" nichts zu tun. Sicherlich gingen diese Angriffe nicht von der Projektwerkstatt aus. Es zeigt jedoch, wozu Menschen mit einer gewissen extrem rechten Einstellung in der Lage sind.  Warum der Betreiber der Projektwerkstatt jedoch auf seinem öffentlichen Facebook-Account eine Seite liked, auf der sich seine politischen Gegner sich bloßgestellt und diffamiert fühlen (Hier wurden selbst von FB schon mehrere Beiträge gelöscht), dass muss er erklären können.

Der aktuelle europaskeptische Text der Projektwerkstatt Karben ist auch keine neue Erfindung der "Projektwerkstatt". Der Text wurde schon vor längerem auf der Homepage einer süddeutschen Gruppe veröffentlicht – nur ohne Überschrift der "Projektwerkstatt Karben". Es ist eine kurze Einleitung in eine Broschüre des "Instituts für Staatspolitik".

Eine mögliche weitere Baustelle in Karben: In Karben hat sich die letzten Tage auch ein Ableger eines militanten und rechtsextremen Kameradschaftsnetzwerkes zumindest virtuell gegründet. Der Blog ist aktuell nicht nur inhalts,- sondern auch ziemlich textleer. Wir werden dies weiterhin beobachten.

Selbstkritik: Das Beispiel aus Karben zeigt, dass wir alle mehr Zeit für Recherche und für den Erhalt demokratischer Standards aufbringen müssen. Dass seit Eintragung des e.V. 2001 bis heute der Verein nicht als Träger des Instituts für Staatspolitik und der Sezessionen thematisiert wurde, ist erschreckend und sollte auch bei uns sowie anderen Gruppen für massive Selbstkritik sorgen. Antifaschismus ist Aufgabe aller demokratischen Akteure.

Hintergrund:"Rechtsintellektuelle Publizisten rühren die Werbetrommel für eine zweite Auflage einer Verkaufs- und Informationsbörse am 5. Oktober 2013 in Berlin" (blick nach rechts)

Textübernahme mit freundlicher Genehmigung der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V.

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Demos, Einschüchterungsversuche und nervöse Zeugen: Der Jahresrückblick aus Hessen

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Wichtige Ereignisse bezüglich der extremen Rechten im Jahr 2013 waren in Hessen der 1. Mai, für den die NPD eine "Großkundgebung" an der Europäischen Zentralbank geplant hatte, und die Landtagswahlen am 22. September inklusive des Wahlkampfes. Für Aufsehen sorgte während des Jahres immer wieder eine Gruppe Neonazis, die im mittelhessischen "Lumdatal" mehrere Menschen teils regelrecht terrorisiert.

Von Verena Grün im Auftrag vom Netzwerk für Demokratie und Courage Hessen

Der 1. Mai

Etwa ein ganzes Jahr lang warb die hessische NPD auf ihrer Homepage für eine "Großkundgebung" am 1. Mai nahe der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Die Kundgebung sollte eine von zwei zentralen Parteiveranstaltungen sein. Lange Zeit blieb es mehr oder weniger bei dem Hinweis auf der Seite, irgendwann kam eine Sonderseite hinzu. Darüber hinaus wurde kaum für die Veranstaltung mobilisiert. Zumindest nicht auf Seiten der Neonazis.

Anders sah es auf antifaschistischer Seite aus. Am 1. Mai beteiligten sich dann auch zahlreiche Menschen an den Protesten und Blockaden. Die NPD-Anhänger_innen trafen sich in Kahl am Main (bei Aschaffenburg, Bayern), um gemeinsam mit der Bahn nach Frankfurt zu fahren. In Hanau war die Reise jedoch zu Ende. Eine Blockade auf den Schienen in Frankfurt machte es ihnen unmöglich, zum Kundgebungsort zu gelangen. Nach einigem Hin und Her entschieden sich die lediglich etwa 150 NPDler_innen, in Hanau eine Ersatzveranstaltung abzuhalten.

Zwar wurde dies im Nachgang als Erfolg verkauft, der Tag war dennoch eine eindeutige Niederlage für die (hessische) NPD. Insbesondere die geringe Teilnehmendenzahl gibt deutliche Auskunft über den Zustand der Partei in Hessen. Die Neonazis der hessischen "Freien Kräfte" waren ohnehin lieber zu anderen Aufmärschen gefahren. Das Freie Netz Hessen zum Beispiel mobilisierte ausschließlich nach Würzburg und fuhr dann auch zur dortigen Veranstaltung.

Bundestags- und Landtagswahl

Immerhin war es der NPD gelungen, sowohl für die Bundestags- wie auch für die Landtagswahl Landeslisten aufzustellen. Mit der Erststimme waren jedoch nur für den Bundestag NPD-Kandidat_innen wählbar. Wahlkampf fand so gut wie nicht statt. Lediglich Plakate waren aufgehängt worden, darunter auch die berüchtigten Plakate mit dem antiziganistischen Slogan. Mehrere Städte ließen sie abhängen, mussten sie jedoch größtenteils nach Gerichtsentscheidungen wieder anbringen.

Ende August bis Anfang September machte das "NPD-Flaggschiff" im Rahmen des Bundestagswahlkampfs in neun hessischen Städten Station. In Hanau bekamen die NPDler besondere Empörung zu spüren. Aufgrund von Blockaden musste die Kundgebung zuerst verlegt werden, dann wurde sie auch noch vorzeitig durch den Hanauer Oberbürgermeister aufgelöst. Dieser hatte in der Rede des damaligen NPD-Vorsitzenden Holger ApfelÄußerungen gehört, die er als volksverhetzend begriff. Zwei Wochen später wiederholte die NPD jedoch dort ihre Kundgebung.

Wahlerfolge brachten ihr die Kundgebungen jedoch nicht ein. Bei der Bundestagswahl konnte die Partei ihren Anteil von ein Prozent der abgegebenen Zweitstimmen in Hessen halten. Bei der Landtagswahl gelang ihr eine Steigerung von 0,9 Prozent auf 1,1 Prozent. Mit diesem Ergebnis kommt sie erstmals wieder in den Genuss staatlicher Zuwendungen in Form von Wahlkampfkostenerstattung. Dennoch trat der Landesvorsitzende Daniel Knebel im Anschluss von seinem Posten zurück. Seither wird der Landesverband kommissarisch geführt.

Auch "pro Deutschland" machte im Rahmen ihrer Wahlkampftour in sechs Städten in Hessen Station. Wie überall suchten sie sich linke Zentren oder Moscheen als Orte ihrer Kundgebungs-Shows aus. Ihr Wahlergebnis in Hessen: 0,1 Prozent.

Die Rechte

Die im Vorjahr gegründete Partei "Die Rechte" hat ihre Strukturen in Hessen weiter ausgebaut. Sie verfügt nun über fünf Kreisverbände und drei Ortsverbände, diese dürften jedoch alle mehr als mitgliederschwach sein. Der hessische Vorsitzende Pierre Levien wurde im Mai in den Bundesvorstand aufgenommen und kandidierte in seinem Wahlkreis als Direktkandidat zur Landtagswahl.

Darüber hinaus sind keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei in Hessen zu verzeichnen. Zwar sind die Verlautbarungen auf Facebook immer wieder für ein Schmunzeln gut, den vollmundigen Ankündigungen folgen jedoch keine nennenswerten Aktivitäten.

Lumdatal

Für großen Aufruhr sorgte 2013 eine Gruppe von Neonazis aus dem Lumdatal (bei Gießen). Die Gruppe besteht aus größtenteils seit Jahren aktiven Neonazis der Region. Doch erst seit sie unter einem Gruppennamen öffentlich agieren und unter anderem die Bürgermeisterin angehen, wird ihre Existenz von der Allgemeinheit wahrgenommen. Sie bedrohen ihnen unliebsame Menschen, verteilen die "Lumdatal-Stimme" und verkleben ab und an Massen an Aufklebern. Einer der Sticker ist der Allendorfer Bürgermeisterin gewidmet: "Kein Bock auf Bergen-Krause" ist darauf zu lesen. In der Nacht zum 1. Mai versuchten die Neonazis unter Sieg Heil-Rufen zuerst die Haustür einer Allendorfer Familie, dann die der Bürgermeisterin einzutreten. Auch weitere Menschen, die sich gegen rechts positionieren wurden angepöbelt und versucht, einzuschüchtern. So drangen beispielsweise vier Neonazis auf das Grundstück einer Familie ein und bedrohten diese etwa 20 Minuten. Ebenfalls im Mai fand dann in Allendorf eine Kundgebung der JN mit lediglich acht Teilnehmenden statt, am Nachmittag folgte ein Aufmarsch in Grünberg, zu dem etwa 50 Neonazis kamen.

Im Juli, vermutlich aus Angst vor einem Verbot, erklärte die Gruppe ihre Auflösung und ihren Eintritt in die JN. Nach einer kurzen Ruhephase gab es erneut "Besuche" bei bereits vorher betroffenen Personen. Nach dem Outing eines Aktivisten an der Uni Gießen tauchte eine kleine Gruppe Neonazis zuerst bei der Bürgermeisterin auf, versuchte an einem anderen Haus die Tür einzutreten und griff anschließend zwei Personen an, die jedoch flüchten konnten.

Die "Projektwerkstatt" in Karben

Seit Mai 2013 verfügt die "Neue Rechte" in Hessen über ein Zentrum. In einem Wohnhaus in Karben befindet sich im Erdgeschoss die sogenannte "Projektwerkstatt". Die Räume gehören dem Vorsitzenden des neurechten Instituts für Staatspolitik, Andreas Lichert. Seither fanden dort einzelne kleine Veranstaltungen statt. Die Gründung fand noch in Zusammenarbeit mit der "Identitären Bewegung" statt, zu dieser ging Lichert jedoch auf Distanz. Dies dürfte mit dem breiten Protest zusammenhängen, der sich nach Bekanntwerden der Hintergründe der Lokalität in Karben formiert hatten.

Feindbild Stolpersteine

In der Nacht zum 8. November wurden im südhessischen Seeheim-Jugenheim Rathausfenster eingeworfen – mit zwei Stolpersteinen, die ein Jahr zuvor in Griesheim entwendet worden waren. Im Rathaus war kurz vorher die Ausstellung "Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen" eröffnet worden. In Griesheim war die Polizei 2012 der Meinung, Täter könnten Rechte oder "Wertstoffdiebe" gewesen sein. Kurz bevor in Seeheim-Jugenheim im April Stolpersteine verlegt wurden, wurde an die dafür vorgesehene Stelle "Stolpersteine der Lüge" gesprüht. Der Bürgermeister hat auch bereits Drohbriefe erhalten.

Einen Tag vorher wurden auch im südhessischen Weiterstadt frisch verlegte Stolpersteine aus dem Pflaster entfernt und gestohlen. In keinem der Fälle konnten die Täter_innen bisher identifiziert werden.

NSU

Anfang Dezember musste der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas T., zum zweiten Mal vor dem Oberlandesgericht in München im NSU-Prozess aussagen. Er war während des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internet-Cafe, will aber nichts von den Geschehnissen mitbekommen haben und den Erschossenen auch nicht gesehen haben, als er sein Geld auf den Tresen legte. Als nach der Tat nach Zeug_innen gesucht wurde, meldete er sich nicht. Außerdem soll er eine Stunde vor der Tat mit dem von ihm geführten V-Mann Benjamin G. telefoniert haben, der auch über Kontakte zu "Blood&Honour" verfügte. Das Gespräch dauerte ungewöhnlich lange.

In den zwei Tagen seiner Vernehmung machte T. wirre Aussagen, verwickelte sich in Widersprüche, wollte sich nicht erinnern. Im Anschluss wurde G. vernommen. Auch seine Befragung gestaltete sich als schwierig. Dennoch sagte er aus, dass T. bei einem Treffen etwa drei Wochen nach dem Mord anders als sonst gewirkt habe: abwesend, im Gegensatz zu sonst habe er sich keine Notizen gemacht. Als G. ihn auf den Mord ansprach, sei T. deutlich nervös geworden.

G. wurde vom hessischen VS ein Zeugenbeistand zur Seite gestellt und auch bezahlt. Dieser soll wohl auch verhindern, dass G. mehr sagt als er darf. Allerdings gibt dies auch Anlass zur Befürchtung, die Aufklärung könnte behindert werden. T. wird noch mindestens einmal in München erscheinen müssen. Dass die vielen offenen Fragen dann beantwortet werden, ist jedoch unwahrscheinlich.

Seit 2012 erinnert in Kassel ein vorher namenloser Platz an Yozgat: der Halit-Platz. Dort befindet sich auch eine Gedenktafel. Im März wurde diese mit Farbe beschmiert. Täter_innen und Hintergrund blieben unbekannt.

Ausblick

Zum Glück sind 2013 größere Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten ausgeblieben. Bleibt zu hoffen, dass dies auch im kommenden Jahr so bleibt.

Was die organisierte extreme Rechte angeht, so ist auch für 2014 nicht damit zu rechnen, dass sie zu insgesamt größerer Handlungsfähigkeit gelangen wird. Dennoch wird sie weiterhin aktiv und auch gefährlich – wie das Beispiel Lumdatal zeigt – bleiben. Außerdem stehen erneut Wahlen an, für das Europaparlament wollen auch NPD und "Die Rechte" kandidieren. Dass es neue Erkenntnisse zum NSU-Mord in Kassel oder zu Rolle und (Nicht-) Wissen des V-Mann-Führers Andreas T. geben wird, ist unwahrscheinlich. Aber vielleicht wird es wenigstens doch noch einen Untersuchungsausschuss dazu geben.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| Alle Bundesländer im Jahresrückblick 2013

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Sturm 18 - Knast-Kameradschaft mit Vereinsstatus

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Subtilität kann man "Sturm 18 e.V." nun wirklich nicht vorwerfen: Das Logo ist eine Reichadler mit einer 18 im Eichenlaubkranz, die Vereinsanmeldung erfolgte am 20. April (Hitlers Geburtstag), Gründer Bernd Tödter ist ein überzeugter Hardcore-Nazi, Vereinszweck sollte "Erhaltung der deutschen Schrift, Sprache und Kultur" sowie "Gefangenenhilfe" sein. Trotzdem bekam "Sturm 18" den Vereinsstatus in Hessen zuerkannt. Nun soll der Verein verboten werden. Die Nazis dahinter sind eine Gruppe, die immer wieder durch Gewalttaten und Alkoholmissbrauch in die Medien gerät - aber trotzdem Einfluss in der Nazi-Szene Deutschlands hat.

Von Simone Rafael

Dies ist eine komplizierte Geschichte, weil der Hauptakteur, der Neonazi Bernd Tödter, ein "notorischer Gruppengründer" und Selbstdarsteller ist und es deshalb zahllose mehr oder weniger reale Nazi-Vereinigungen gab und gibt, in denen er die Strippen zieht, zog oder zumindest vorgibt, es zu tun. Eine seiner Gruppen sorgte im Frühjahr 2013 für Schlagzeilen: Die "AD Jail Crew (14er)" sollte ein Gefängnis-Netzwerk für Neonazis und Rocker werden, dass Tödter aus der Haft quasi unter den Augen der Sicherheitsbehörden ins Leben rief. Die Aufdeckung des Neonazi-Knastnetzwerks "AD Jail Crew" wurde als Fahndungserfolg der hessischen Polizei gefeiert. Dabei sind das Netzwerk und seine Protagonisten schon langjährig aktiv - und das sehr offen.

Unglaublich aber: Ende Juni bekam die dahinter stehende Nazikameradschaft als "Sturm 18 e.V." trotz aller Ermittlungen - und Vorstrafen ihres Gründers - am 27.06.2014 offiziell einen Vereinsstatus, obwohl die Vereinigung mit ihrer neonazistischen Intention kaum hinterm Berg hält (Registernummer VR 5129). Offenbar reichte es, dass Gründer Bernd Tödter, der sich nun "Präsident" nennen darf, als Vereinszweck (diesmal) nicht angab "militantes Neonazi-Gefängisnetzwerk mit Verbindungen zur Rockerszene für Gewalttaten und Erhaltung der Nazi-Ideologie", sondern etwas unauffälliger „Erhaltung der deutschen Schrift, Sprache und Kultur, die Schaffung von Freizeittreffs, die Bildung von Sportclubs, die Familien- und Gefangenenhilfe sowie die Förderung von benachteiligten Personen und Personengruppen im In- und Ausland“ (Frankfurter Rundschau). 

Auf Facebook bezeichnet sich der Verein mit einem weiteren Namen, heißt dort  "Sahn e.V." und beschreibt sich als "Kultur-, Sport-, Familien-, Gefangenenhilfe- und Förderverein“ . Es gibt auch noch die eine auf Bernd Tödter angemeldeten Webseite namens "sturm18.de" - ein Forum für Neonazis, das zwar geschützt ist, allerdings ist seine Tag-Cloud (Such- und Diskussionsbegriffe) zu sehen und lässt keine Zweifel an den dort gern diskutierten Themen:

In Paragraf 14 der Vereinssatzung von "Sturm 18 e.V." steht, das Symbol des Vereins sei der „Reichsadler von 1935-1945 in modifizierter Version mit der Zahl ‚18‘ im Eichenlaubkranz“. Die Ziffern ersetzen das verbotene Hakenkreuz – bei Neonazis stehen sie für AH, die Initialen Adolf Hitlers. Und so sah auch schon das Logo der wegen ihrer Gewaltbereitschaft berüchtigten Kameradschaft Sturm 18 aus, ebenso das Symbol der "AD Jail Crew". Die Gemeinnützigkeit haben die Nazis für ihren Verein nun ebenfalls beantragt (ist aber noch nicht bewilligt). Das Innenminsterium prüft nun ein Vereinsverbot (Frankfurter Rundschau).

Ein "notorischer Gruppengründer" - und neonazistischer Mörder

Eindeutig neonazistisch allerdings ist die Vita von Vereinsgründer Bernd Tödter. Der ist nämlich nicht nur seit den 1990er Jahren überzeugter Neonazi, sondern auch ein "notorischer Gruppengründer" (NSU-Watch).

Tödter stammt aus Bad Segeberg in Schleswig-Holstein und ist seit den 1990er jahren als Neonazi aktiv, zunächst in der "Kameradschaft Nordmark" und im "Freundeskreis nationaler Aktivisten" (FNA).

1993 tötete er in Bad Segeberg einen Obdachlosen aus neonazistischer Gesinnung, saß dafür eine dreieinhalbjährige Jugendstrafe ab.

2001 zog er nach Kassel und gründete das "Bündnis rechts für Hessen", nannte sich darin "Leiter der Landesgeschäftsstelle". Auch das Label "Freundeskreis nationaler Aktivisten" (FNA) nahm er mit nach Hessen, darunter sammeln sich - gerade in Sozialen Netzwerken -  Neonazis aus ganz Deutschland.

Ab 2002 übernahm Tödter die Neonazigruppe "Sturm 18 Cassel", die die Neonazis Michel F. und Stanley R. aufgebaut hatten. Tödter übernahm schnell die Führungsrolle. In Selbstdarstellungen gab er darüber hinaus an, die "Kameradschaft Nordhessen" zu führen.

2003 gründete er mit "Kameraden" einen Fanclub des Hamburger Sportvereins, die HSV Pit Bull's, die seit 2006 auch eingetragener Dartsport-Verein im Ligabetrieb sind. Seine damalige Lebensgefährtin und sein Bruder traten als Vorsitzende eines "Dartsportbundes Deutschland" auf. Neonazis aus dem Kreis der HSV Pit Bull’s waren es auch, die 2004 im nordhessischen Wethen über Wochen hinweg eine kurdische Familie terrorisierten, bis diese schließlich das Dorf verließ.

2004 war Bernd Tödter an Übergriffen auf eine kurdische Familie beteiligt, wegen denen er 2006 zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde (hiergeblieben.de, Infoarchiv-Norderstedt.de).

2010 gibt Tödter an, Chef der "NSO Deutschland" sowie 1. Vorsitzender des Vereins "Kultur-, Sport- und Förderverein Deutschland e.V." zu sein. 

2010 tauchte Tödter erneut in den Schlagzeilen auf: Nachdem seine Freundin ihn (und "Sturm 18 Cassel") verlassen hatte, suchte er sie über eine "Fahndung"über Soziale Netzwerke. Wenn er sie an einem Ort vermutete, kam er auch mit "Kameraden" vorbei und löste damit verschiedene Polizeieinsätze aus.  

2010 wurde Bernd Tödter wegen Vergewaltigung eines 17-jährigen Mädchens angeklagt. In dieser Zeit übernahm Dirk Wilbertz (Ex-FAP, Nähe zum militanten Untergrund der "Combat 18"-Strukturen des "Blood & Honour"-Netzwerks) das Ruder bei "Sturm 18" in Kassel. Im Juli 2011 verletzte er einen Obdachlosen durch Fußtritte ins Gesicht schwer und wurde dafür - und für zwei Einbrüche - im Sommer 2012 zu vier Jahren Haft verurteilt. Seine Straftaten erklärte er unter anderem mit dem Satz: “Ich habe eine Borderline-Störung mit Kontrollverlusten.”

Tödter selbst stellte stets die Militanz seines "Sturms 18 Cassel" zur Schau, posierte mit Sturmgewehren in Sozialen Netzwerken, präsentierte "Sturm 18" als führende Struktur eines internationalen Untergrund-Netzwerks mit Ablegern in Leipzig und im Raum Lübeck - in Form von einzelnen Bekannten von Tödter. 2011 verkündete Tödter, "Sturm 18" habe sich mit der russischen Neonaziorganisation NSO ("Nationalsozialistische Gesellschaft"), der "Arischen Bruderschaft" des NPD-Funktionärs Thorsten Heise und der Gruppe "Combat 18" zusammengeschlossen. Belege für Aktivitäten gab es nie. Tödters Netzwerk wird neben der Naziideologie vor allem von der Lust am exzessiven Alkoholgenuss und an der Gewalt zusammen gehalten - manchmal gegen Frauen, auch aus der Gruppe, meist gegen Andersdenkende, Obdachlose, als "fremd" Empfundene.

2006 will Bernd Tödter in Kassel Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) getroffen haben. 2006 wurde in Kassel als letzte Tat der Ceska-Mordseire Halit Yozgat ermordet. Bisher nehmen die Behörden seine Andeutungen einer Beteiligung allerdings nicht ernst.

2012 gründet Bernd Tödter die "AD Jail Crew (14er)", die sich im Oktober 2012 in der Rockerzeitschrift "Biker News" vorstellte (AD = Aryan Defense). Nach dem Verbot der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG)" 2011 (immerhin 600 Mitglieder) lag die "Gefangenenhilfe" der Neonazis brach. Die "AD Jail Crew" versuchte offenbar, in deren Fußstapfen zu treten und Kontakt zu inhaftierten Neonazis und Rockern aufzunehmen. Offenbar war auch NSU-Helfer Ralf Wohlleben unter den Angesprochenen (Frankfurter Rundschau). Die Gruppe besaß ein eigenes Emblem, eine Satzung und eine Uniform. Allerdings agierte sie niemals geheim, sondern - passend zu Tödters bisherigem Auftreten - eher offen. Doch es gibt keine Fakten, die belegen, dass die AD Jail Crew mehr war als ein früh gescheitertes Planspiel eines profilierungssüchtigen Neonazis. Es gibt allerdings auch keinerlei Gewissheit, dass Bernd Tödter mit seinem angedeuteten Wissen über Kasseler NSU-Verbindungen der Polizei tatsächlich nur eine “wilde Geschichte” (Süddeutsche Zeitung) auftischte, schreibt NSU-Watch.

Bis Februar 2014 saß Tödter in der Justizvollzugsanstalt im hessischen Butzbach wegen verschiedener Straftaten eine zweijährige Haftstrafe ab.

Im Juli 2014 wird er wieder in Untersuchungshaft genommen: Vorwurf der Vergewaltigung einer 16-Jähringen Anfang Juli und zweifache gefährliche Körperverletzung: An der 16-Jährigen, um zu verhindern, dass sie die Tat anzeigt, und an seiner 21 Jahre laten Mitbewohnerin, die er getreten und geschlagen haben soll (Frankfurter Rundschau).

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Roeder, Manfred

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Manfred Roeder (geb. 1929) ist ein verurteilter Rechtsterrorist und Holocaust-Leugner. 1997 löste sein Auftritt als Referent in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg einen Skandal und die grundsätzliche Debatte nach rechten Tendenzen in der Truppe aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg Krieg arbeitete Manfred Roeder in Berlin als Angestellter der US-Streitkräfte. 1967 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen. 1970 trat er in Bensheim an der Bergstraße der CDU bei. Dann gründete der erzkonservative Vater von sechs Kindern die Deutsche Bürgerinitiative e.V., deren Ziel eine "Erneuerung unserer Staats- und Sittenordnung" war. Zunächst beschränkten sich seine Aktionen noch auf Anschläge mit Farbbeuteln auf Sexläden oder Proteste gegen die "entartete Kunst" auf der documenta in Kassel. Anfang der 80er Jahre aber waren Roeders "Aktionsgruppen" beteiligt, als Brandsätze auf Flüchtlingswohnheime flogen. 1982 wurde er als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. Seine Anhänger hatten 1980 zwei vietnamesische Asylbewerber getötet.

Bereits Mitte der 70er Jahre verfasste Manfred Roeder das Vorwort zur jugendgefährdenden Broschüre Die Auschwitz-Lüge des ehemaligen SS-Mannes und Altnazis Thies Christophersen gewesen. Während seiner Haftzeit versorgte Roeder seine Anhänger mit Rundbriefen. 1990 wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen Auf seinem sogenannten "Reichshof" auf dem Knüll in Hessen veranstaltete der fanatische Neonazi in den 90er Jahren immer wieder internationale Szene-Treffen.

Im Januar 1995 referierte Roeder für sein "Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk" vor rund 30 Offizieren der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Als der Skandal zwei Jahre später aufflog, wurde bekannt, dass er bereits 1994 ausgemusterte Fahrzeuge von der Bundeswehr erhalten hatte. 1997 kandidierte Roeder für die NPD zur Bundestagswahl in Stralsund. 2004 distanzierte sich seine "Deutsche Bürgerinitiative" von der NPD, weil die Partei "keine Alternative zu den Systemparteien" sei. 2005 wurde der 76-Jährige erneut zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. 2007 nahm Roeder an der Gründung des "Deutsch-Russischen Friedensbewegung Europäischen Geistes e.V." mit zahlreichen Neonazis wie Jürgen Rieger, Frank Rennicke und Thorsten Heise teil. Im November 2009 wurde Roeder vom Landgericht Marburg wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Im Juli 2010 wurde er vor dem Amtsgericht Treysa nach einem entsprechenden Rundbrief wegen Volksverhetzung angeklagt.

Am 30. Juli 2014 starb Roeder im Alter von 85 Jahren in Neukirchen (Knüll).

Zum Thema

| "Das betrübt mich"– Rechtsradikalismus in der Bundeswehr

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Marginalisiert in Leben und Tod – Wohnungslose als Opfer rechter Gewalt

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Am 23.10.2014 wird ein 55-jähriger Ruander in einer städtischen Unterkunft für Wohnungslose im hessischen Limburg brutal von drei Männern zu Tode geprügelt. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einer rassistischen Motivlage der Täter aus – am selben Tag wurden zwei von ihnen beim Zeigen des Hitlergrußes fotografiert. Die Tat reiht sich ein in eine lange Reihe von Morden an Wohnungslosen durch Neonazis. Sozialdarwinismus ist ein zentraler Baustein neonazistischer Ideologie. Jedoch finden Obdachlose als Opfergruppe rechter Gewalt kaum Beachtung. Selten wird ihnen gedacht, über ihr Leben kaum berichtet. Zynisch: Vor allem Nazis versuchten zuletzt, diese Morde lokal erneut zu nutzen.

Von Joschka Fröschner

Wenig ist bekannt über das, was sich in der Nacht zum 23.10.2014 in einer städtischen Unterkunft für Wohnungslose im hessischen Limburg abgespielt hat. In der Gemeinschaftsküche der Einrichtung schlugen und traten drei Täter abwechselnd so lange auf einen Mann aus Ruanda ein, dass dieser wenig später an seinen inneren Blutungen starb. Drei Tatverdächtige, zwischen 22 und 43 Jahren, konnten schnell ermittelt werden. Einer von ihnen beging in Untersuchungshaft Selbstmord. Polizei und Staatsanwaltschaft kommunizierten schon am Anfang der Ermittlungen, dass es klare Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation der Täter gebe.

Hitlergrüße vor der Tat

Woran genau sich dies festmacht, ob die Täter womöglich Kontakte in die organisierte Neonaziszene haben, ist nicht bekannt. Kürzlich sickerte aber durch, dass zumindest zwei der Täter am Tag der Tat beim Zeigen des Hitlergrußes fotografiert wurden. Noch weniger als über die Geschehnisse in Limburg weiß man in der Öffentlichkeit allerdings über das Opfer der Mordtat: Nur sein Alter und seine Nationalität sind bekannt: 55 Jahre alt, aus Ruanda. Über sein Leben und seine Geschichte wird nichts berichtet. Dies ist nichts Neues, wenn Wohnungslose Opfer rechter Gewalt werden. Von einigen obdachlosen Todesopfern existieren bis heute nicht einmal Fotos und komplette Namen.

Sozialdarwinismus als Ungleichwertigkeitsideologie

Seit 1990 wurden 167 Wohnungslose von Täter_innen außerhalb der Wohnungslosenszene getötet, so die Statistik der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ (BAGW). Davon finden sich 28 Opfer auch in der Chronik von „Tagesspiegel“ und „Zeit“ zu Todesopfern rechter Gewalt. Wahrscheinlich aber ist die Anzahl von Todesopfern rechter Gewalt unter Wohnungslosen deutlich höher, da sich die BAGW-Chronik ausschließlich auf Presseauswertungen stützt, schreibt der Historiker Lucius Teidelbaum in der Zeitschrift „Lotta“. Deutlich ist: Die Gewaltbereitschaft gegenüber Wohnungslosen ist sowohl in der rechten Szene als auch in der Gesamtgesellschaft äußerst hoch.

Säuberung des Volkskörpers

Die sozialdarwinistische Abwertung von Obdachlosen war bereits im Nationalsozialismus ein Teil von Programmen zur „Sozialhygiene“: „Alles Schädliche und Faule, alles was schwach und krank und verdorben ist, muss aus dem gesunden Volkskörper rücksichtslos herausgeschnitten werden“, war die Maxime der Nationalsozialisten. Die Säuberung des Volkskörpers von „Schädlingen“ mündete in der Verfolgung und Internierung von „Asozialen“. Seinen Höhepunkt erreichte die Verfolgung von Wohnungslosen, Menschen mit geistiger Behinderung und aus anderen sozialen „Randgruppen“ mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ im Jahr 1938. Dabei wurden mehr als zehntausend Menschen verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Hunderte Frauen wurden zwangssterilisiert, in den Lagern kamen viele Wohnungslose ums Leben.

Mangelnde Anerkennung der NS- Verfolgung

Nach 1945 wurden die als „asozial“ Verfolgten von Entschädigung und Anerkennung weitestgehend ausgeschlossen. Die an ihnen verübten Verbrechen galten nicht als „NS-spezifisches Unrecht“. Das Nichtanerkennen der Verfolgung und die verweigerte Aufarbeitung tragen zu einer Kontinuität der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Wohnungslosen bis in die heutige Zeit bei. Heutzutage erfährt die  Abwertung von Wohnungslosen durch kapitalistische Verwertungslogik eine verstärkte Legitimation:  Der Wert eines Menschen richtet sich zunehmend nach seiner ökonomischen „Nützlichkeit“. Wer nichts „leistet“ ist auch nichts wert – aus objektiv vorhandener Ungleichheit wird eine angeblich vorhandene Ungleichwertigkeit.

Abwertung von Wohnungslosen ein deutscher Zustand

Diese Ansicht ist in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet. Wilhelm Heitmeyers Studie „Deutsche Zustände“ zufolge wünscht sich etwa ein Drittel der Befragten die Vertreibung von Obdachlosen aus Fußgängerzonen, 34 % bezeichnen Obdachlose als ihnen „unangenehm“ (Zahlen von 2010). Die Abwertung von Langzeitobdachlosen ist noch deutlich stärker ausgeprägt. Aus wirtschaftlicher Schwäche wird charakterliches Versagen konstruiert. Dieser Diskurs wird zumeist von Politiker_innen noch befeuert, wenn etwa Franz Müntefering während seiner Amtszeit als Bundesminister für Arbeit und Soziales verlangt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“

Sozialdarwinismus der Tat

Aus diesem Sozialdarwinismus des Wortes folgt bei Gewaltverbrechen gegen Wohnungslose ein „Sozialdarwinismus der Tat“, wie Teidelbaum ihn bezeichnet. Der Ausschluss von Wohnungslosen, der diskursiv bereits gerechtfertigt ist, wird durch die praktische „Säuberung“ der Gesellschaft von „unerwünschten Elementen“ vollzogen. Die meisten Morde werden von Tätergruppen verübt, zu einem überwiegenden Teil männlich und jung. Auffällig ist auch die besondere Brutalität, mit der oft vorgegangen wird. Sie zeugt von einer Entmenschlichung der Opfer, und der Überzeugung der Täter, dass Wohnungslose „unwertes Leben“ darstellen:

„Der hatte es nicht anders verdient“

In der Nacht zum 1. August 2008 legt sich Hans-Joachim Sbrzesny zum Schlafen auf eine Parkbank in der Nähe des Dessauer Hauptbahnhofs. Wegen einer psychischen Erkrankung lebt und schläft Sbrzesny immer wieder im öffentlichen Raum. Gegen 1 Uhr nachts finden ihn dort die beiden Neonazis Sebastian K. (23) und Thomas F. (34). Sie stellen ihre Fahrräder ab und schlagen dem wehrlosen 50-Jährigen mit Fäusten ins Gesicht. Als Sbrzesny am Boden liegt, treten sie ihm auf den Kopf. Sebastian K. schlägt mehrfach mit einem über fünf Kilogramm schweren Metallmülleimer auf den Oberkörper des Opfers ein. Sbrzesny erleidet Quetschungen an Herz und Lunge und verstirbt noch am Tatort. Die Täter werden in derselben Nacht in unmittelbarer Tatortnähe verhaftet. F. ist als Teilnehmer von NPD-Veranstaltungen bekannt und hat sich den Schriftzug „White Power“ auf den Körper tätowieren lassen. Im Prozess sagt ein Zeuge aus, Sebastian K. habe ihm während der Untersuchungshaft erzählt, Sbrzesny sei ein „Unterbemittelter“ gewesen, der es „nicht anders verdient“ habe. In seinem Urteil erkennt das Gericht keine rechte Tatmotivation. Anlass des Mordes sei Sebastian K.‘s „schlechte Laune“ gewesen.

Todesstrafe für Obdachlosigkeit?

Am 23. August 2008 schläft der 59-Jährige Karl-Heinz Teichmann auf einer Parkbank hinter der Leipziger Oper. Dort finden ihn zwei Neonazis, die zuvor auf einer von neonazistischen „Freien Kräften“ organisierten Demonstration unter dem Motto „Todesstrafe für Kinderschänder“ gewesen sind. Einer der Neonazis, der 18-Jährige Michael H., sagt Teichmann, dass er „nicht hier schlafen solle“. Dann schlägt er ihn mit der Faust und springt ihm ins Gesicht. Anschließend verlassen die beiden Neonazis den Park, um sich mit Freunden zu treffen. Eine halbe Stunde später kehrt Michael H. jedoch zurück, um Teichmann erneut zu verprügeln. Ärzt_innen stellen bei Teichmann später massive Kopfverletzungen, Prellungen am ganzen Körper, Brüche im Gesicht, eine Halswirbelfraktur und Hirnblutungen fest. Er stirbt am 6. September im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Das Leipziger Landgericht verurteilt Michael H. wegen „heimtückischen Mordes“, wertet die Tat aber nicht als rechtsradikal motiviert. Für die Polizei ist es eine „normale Straftat unter Alkoholeinfluss“.

„Kein Recht, unter der strahlenden Sonne zu leben“

Die Begründungen von rechtsradikalen Mördern für ihre Verbrechen an Wohnungslosen gleichen sich: „Penner“ passen nicht ins Stadtbild, liegen „dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche“,  „der Anblick passte nicht in mein Weltbild“, oder „So einer hat kein Recht, unter der strahlenden Sonne zu leben“. Trotz der besonderen Brutalität und der menschenverachtenden Begründungen erfahren die Mordtaten von Neonazis an Wohnungslosen wenig Aufmerksamkeit. Dies ist, bei der weiten Verbreitung sozialdarwinistischer Einstellungen in der Gesellschaft, kein Zufall. Das Recht, die Stadt von Obdachlosen zu säubern, dass die Täter für sich in Anspruch nehmen, wird vom Staat seit jeher in die Tat umgesetzt. Dies geschieht durch die Vertreibung von Wohnungslosen aus Fußgängerzonen und aus Bahnhöfen durch Polizei und Sicherheitspersonal, oder durch bauliche Maßnahmen, die es verhindern sollen, dass Obdachlose unter Brücken schlafen können, wie in Hamburg geschehen. Das hohe Ausmaß an Akzeptanz von struktureller Gewalt gegen Wohnungslose zeigt sich nicht zuletzt an dem fehlenden Aufschrei über Kältetote, die es jeden Winter in deutschen Städten gibt.

Staatlich sanktionierte Ausschlüsse

Staatlich umgesetzte oder sanktionierte Ausschlüsse führen letztendlich zur besonderen Verwundbarkeit von Wohnungslosen für Gewalttaten. Von Orten vertrieben, die durch hohes Menschenaufkommen Sicherheit bieten, bei gleichzeitigem chronischen Mangel an Unterkünften, müssen sie immer wieder vereinzelt an Plätzen schlafen, an denen sie nicht „sichtbar“ sind. So ist es wenig verwunderlich, dass die Tatorte von neonazistischen Morden an Obdachlosen immer wieder Parkanlagen und -bänke oder andere behelfsmäßige Schlafplätze sind. Und auch die Ermittlungsbehörden übersehen besonders häufig Neonazi-Angriffe auf Wohnungslose und andere sozial Benachteiligte. Dafür spricht zumindest ein Vergleich der staatlich erfassten Todesopfer rechter Gewalt mit denen der von „Tagesspiegel“ und „Zeit“ ermittelten. 70 Prozent der obdachlosen und sozial schwachen Todesopfer rechtsradikaler Gewalt sind in den offiziellen Statistiken nicht erfasst!

Gedenken mit Hindernissen

Es ist auch die mangelnde Anerkennung, die ein adäquates Gedenken und Erinnern an wohnungslose Opfer rechter Gewalt erschwert. Noch dazu ist es durch die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Wohnungslosen und sozial schwachen Menschen oftmals schwer, ihre Biographie und Geschichte in Erfahrung zu bringen, um ihnen auf diese Weise ein Gesicht zu verleihen.  Die Marginalisierung von Obdachlosen im Leben schreibt sich auf diese Weise auch nach dem Tod fort. Nur an wenigen Orten in Deutschland gibt es Gedenksteine und Veranstaltungen an Todestagen um ihnen zu gedenken. Wenn dies geschieht, dann häufig sogar gegen den Widerstand der Lokalpolitik. In Greifswald ist es der Initiative „Schon Vergessen?“ zu verdanken, dass regelmäßig dem 2000 von jungen Neonazis ermordeten Obdachlosen Eckard Rütz gedacht wird, in Neuruppin erinnert ein antifaschistisches Bündnis an Emil Wendland, der 1992 auf einer Parkbank schlafend von Neonazi-Boneheads erstochen wurde.

Instrumentalisierungsversuche von Rechts

In beiden Fällen versuchen mittlerweile auch Neonazis, das Gedenken auf zynische Art und Weise für sich zu vereinnahmen. Emil Wendland wurde nicht auf Grund der neonazistischen Gesinnung der Täter als Opfer ausgewählt, Schuld an seinem Tod sei „subkulturelle Perspektivlosigkeit“, schreiben die Freien Kräfte Neuruppin/ Osthavelland auf einem Flyer. In Greifswald legten Neonazis einen Kranz am Gedenkstein für Eckard Rütz nieder, und beklagten sich öffentlich über die Inschrift „Zum Gedenken an Eckard Rütz – am 25. November 2000 von drei Jugendlichen mit rechtsextremistischer Gesinnung ermordet“, die zur „Diskreditierung der Bewegung“ diene. Das lokale Neonazi-Newsportal „MuPInfo“ schwärmte für die NS-Politik gegenüber Obdachlosen, die im „obdachlos gewordenen Menschen zunächst einmal den Volksgenossen“ gesehen habe.

Mehr Engagement von Nöten

Diese unbeholfenen Instrumentalisierungsversuche können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Abwertung und, wenn möglich, Vernichtung sozial schwacher Menschen ein fester Bestandteil neonazistischer Ideologie ist. Umso wichtiger ist es aber, dass klar Position gegen die Abwertungsmechanismen bezogen wird, die rechten Gewalttaten gegen Wohnungslose zu Grunde liegen. Außerdem braucht es mehr Recherche zu den Biographien der Opfer, die oftmals wegen mangelnder öffentlicher Finanzierung nicht durchgeführt werden konnte. Und natürlich braucht es noch mehr Menschen, die sich in lokalen Initiativen für die Rechte Wohnungsloser und für das Gedenken an Todesopfer rechter Gewalt einsetzen.

Mehr im Internet: 

| Chronik bei berberinfo.blogsport.de
Einzelne Biographien bei todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de
| Einzelne Biographien bei www.rechte-gewalt-in-sachsen-anhalt.de
| Gedenkinitiative für Eckard Rütz und Klaus Dieter Gerecke: schonvergessen.blogsport.de
| Gedenkinitiative für Emil Wendland: jwp-mittendrin.de/blog/emil-wendland/
| Gedenkinitiative für Dieter Eich: niemandistvergessen.blogsport.eu
| Gedenkinitiative für Günter Schwanne: guenterschwannecke.blogsport.eu/ueber-guenter-schwannecke/
| Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.www.bagw.de
| Lucius Teidelbaum „Penner klatschen“ –Über Obdachlosenfeindlichkeit niemandistvergessen.blogsport.eu/?p=1625

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SV Darmstadt 98: "Im Fanblock sind keine Ordner oder Polizisten, die Fanszene reguliert sich selbst."

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Seit über 10 Jahren gibt es beim SV Darmstadt 98 Fanbeauftragte. Diese sind aber nicht gleichbedeutend mit der Fanabteilung. Diese bietet seit 2012 Anhänger*innen der Lilien die Möglichkeit, Mitglied im Verein zu werden und diesen so mitzugestalten. Im Vorfeld war dies nur möglich, wenn man sich als aktive*r Sportler*in eingetragen hatte. Über diese und andere Besonderheiten der Darmstädter Fußballvereins- und Fanszene, wie die Selbstregulierung der Kurve oder die traditionell antirassistisch eingestellte Fanszene, sprach Fussball-gegen-Nazis.de mit Alex Lehné, einem der zwei Fanbeauftragten beim hessischen Fußballprofi.

FgN: Mit welchen fünf Worten würdest Du denn die Fanszene der Lilien beschreiben?

AL: Ähm, das ist schwer, da habe ich im Vorfeld schon nachgedacht. Ich versuche es in fünf Sätzen. Also, absolut speziell für unseren Standort ist, dass die Fanszene sehr heterogen ist. Hier gibt es nicht nur den klassischen Ultra, sondern auch Kuttenfans oder Casuals, die immer mit den richtigen Markenklamotten ins Stadion gehen sowie ältere Hooligans. Alle sind bei uns im Stadion und kommen gut miteinander aus.

Dabei ist die Fanszene sehr kreativ, ich weiß der Begriff ist abgedroschen und fast alle deutschen Fankurven werden so benannt. Aber die Jungs hier haben echt coole Ideen. Eine Weile war es immer wieder Thema, mehr Leute zu Auswärtsfahrten mitzunehmen, um auch da eine gute Unterstützung des Teams zu gewährleisten. Da ist die Fanszene aktiv geworden und hat zum Beispiel Schiffe gemietet, um gemeinsam nach Wiesbaden zu schippern. Ein anderes Mal sind wir mit einem Charterflugzeug nach Rostock gedüst.

Oder nach dem Spiel gegen den RB Leipzig, als der Verein eine Strafe von 4.000€ für die Red-Bull-kritische Choreografie der Fans zahlen sollte. Unser Block 1898 hat dann das Geld an den Verein überwiesen, um sich die Meinungsfreiheit im Stadion zu bewahren und den Verein nicht unnötig zu belasten.

Wer ist denn der "Block 1898"?

Das ist der Fanblock im Stadion. Auch wieder ein wenig speziell, da müssen wir kurz ausholen. Vor einigen Jahren war die Fanszene der Lilien noch relativ klein und um sich im Stadion, das 15.000 Plätze hat, nicht zu verlieren, sind die aktiven Fans auf die Haupttribüne gezogen. So hat sich unterm Dach, das natürlich auch eine akustische Verstärkung bringt, der Fanblock herausgebildet. Unser Stadion ist noch alt und hat nur 3000 Sitzplätze, eben auf der Haupttribüne, wo die Fanszene steht. Die dort geltenden Preise machten es auf die Dauer aber schwierig neue, junge Leute dazu zu bekommen. Das führte immer wieder zu Konflikten zwischen Verein und Fanszene. Letztlich wurde von der Fanszene ein Konzept entwickelt, dass günstigere Eintrittskarten und im Gegenzug einen Verzicht auf Pyrotechnik bei Heimspielen sowie weitere Entlastungen für den Verein beinhaltete.

Was bedeutet das für den Fanblock?

Die Karten für den Block 1898 werden von den Fans selbst verkauft. In dem Block sind auch keine Ordner oder Polizisten, die Fanszene reguliert sich selbst. Das funktioniert sehr gut. Wir haben am Anfang gemeinsam einen Rahmen gesetzt und die Jungs sorgen dafür, dass es läuft. Das heißt auch, dass man beim Kartenkauf schon gesagt bekommt, wie die Regeln sind und dass es schon gewünscht ist, sich eben nicht hinzusetzen. In der letzten Zeit hat sich die Zuschauerzahl verdoppelt und das macht es anstrengender, die Regeln zu vermitteln und ja Leute eben für die in Darmstadt gelebte Fankultur zu sensibilisieren.

Der Block 1898 war irgendwie auch ein Neuanfang mit dem Verein und der erfolgreiche Versuch, wieder zusammen zu kommen, nachdem es vorher unklare Verhältnisse und immer mal wieder Diskussionen gab. 

Wenn Du immer von "Jungs" sprichst, gibt es keine Frauen oder Mädchen bei den Lilien?

Jetzt hast du mich ertappt (lacht). Nee na klar gibt es auch Mädels, aber besonders in der aktiven Fanszene ist der Männeranteil definitiv ganz hoch. Er hat in den letzten fünf Jahren sogar noch mal zugenommen, also es waren mal mehr Mädchen aktiv. Aber gerade im Ultrabereich ist es für junge Frauen noch mal schwieriger Anschluss zu finden, auch wenn das keine bewusste Entscheidung ist. Der Ton ist halt rauer und besonders wenn nur wenige Mädchen da sind, ist es noch mal schwieriger mehr Mädchen zu motivieren. Es gibt da auch immer wieder das Vorurteil, die Mädels wollten nur dabei sein, um Jungs kennen zu lernen. Das Fanprojekt Darmstadt versucht da aber in der letzten Zeit mehr zu machen, um Mädchen für Fankultur anzusprechen.

Gibt es Ultra-Gruppen, die den Ton angeben?

Ja, also es gibt derzeit zwei große Gruppen, die "Usual Suspects" und die "Ultrá de Lis", also "der Lilie". Aber wir haben im Sitzplatzbereich auf der anderen Seite noch einen Bereich mit der älteren Generation, von denen so Mancher in den 1980er und 1990er Jahren auch mal für negative Schlagzeilen gut war. Heute steht das Fußballinteresse aber absolut im Vordergrund. Innerhalb der Fanszene gab es mit diesen Leuten auch nie größere Konflikte, weil sie von Anfang an eher links orientiert waren. Es gibt da Erzählungen, dass nach Heimspielen schon mal eine NPD-Versammlung um die Ecke aufgelöst wurde und ähnliches.

Im Grunde gibt es so also kaum noch Sitzplätze, die man frei verkaufen kann, deshalb macht der Stadionneubau für alle Sinn. Mit dem Zuschaueranstieg seit dem Aufstieg in die 2. Liga ist der Heimbereich jetzt fast immer voll, im Schnitt kommen 13.000 bis 14.000 Menschen. Dass davon die meisten stehen müssen, hat Vor- und Nachteile, wie dass häufig das gesamte Stadion im Kanon mitsingt. Und an anderen Standorten wird ja für Stehplätze und gegen das Hinsetzen gekämpft.

Wenn Du sagst, die Hooligans der "älteren Generation" waren eher links ausgerichtet, wie verhält sich das heute in der Fanszene?

Also es gibt klar einen antirassistischen Grundkonsens in der Szene. Dass man mal jemanden mit Naziklamotten trifft, das kommt vielleicht drei Mal in der Saison vor. Die Person wird dann auch von anderen Fans darauf angesprochen, weil das eben nicht erwünscht ist.

Als es vor fünf bis sechs Jahren die "Ultras Darmstadt" noch gab, wurden sehr viele Choreografien gegen Rassismus gemacht. Einigen Leuten war das dann auch zu viel, weil sie sich einen eher fußballzentrierten Support gewünscht haben. Und nicht verstehen konnten, warum, um jetzt plakativ zu sprechen, acht von zehn Choreos gegen Rassismus sein müssen, wenn es in der Fanszene doch selbst gar keine Probleme damit gibt.

Nach HoGeSa ist jetzt die Aufmerksamkeit noch mal gestiegen, da kommt dann auch mal ein entsprechendes Spruchband - grundsätzlich hat sich die Ultraszene aber mehr darauf verlagert, entsprechende Entwicklungen immer im Auge zu haben und direkter, aber weniger plakativ zu reagieren.

Wow, alles sehr spannend. Dann bedanke ich mich für das Interview und wünsche viel Erfolg beim Spiel heute Abend!

Danke.

Das Interview führte Laura Piotrowski.

 

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Faszination Fankurve: Fans zahlen Strafe: Strafe wegen Anti-Red-Bull-Aktion?

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Factsheet und Zeitleiste HoGeSa - Hooligans gegen Salafisten

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Wann gab es erste Hinweise auf die Gruppierung "HoGeSa" - Hooligans gegen Salafisten? Wann waren die ersten Veranstaltungen? Wie viele Menschen nahmen daran teil? Alle Fakten als Zeitleiste hier.

Von der Redaktion netz-gegen-nazis.de 

HoGeSa steht für "Hooligans gegen Salafisten", eine lose Gruppierung überregional vernetzter rechter Hooligans aus der Fußballszene, die den Salafismus zu ihrem Feind erklärt haben. Zu diesem Zweck mobilisieren Menschen aus der rechten gewaltaffinen Fußballszene und dem Neonazi-Milieu über mehrere, oft wechselnde Online-Foren zu bundesweiten Demonstrationen oder Kundgebungen in verschiedenen (Groß)Städten. Tausende Rassist_innen folgten bisher diesen Aufrufen. Es kam zu schwerwiegenden Ausschreitungen und Ausnahmezuständen während dieser Versammlungen, besonders gravierend in Köln am 26.10.2014. Die HoGeSa bezeichnen sich als unpolitische Hooligans, gegen die die „Nazikeule“ geschwungen wird. Bei ihren Versammlungen sieht man jedoch Kleidung, Symbole, Sticker und hört Parolen, die eindeutig auf Neonazismus, Nationalismus und Rassismus hinweisen. Die angebliche Sorge um den Frieden in Deutschland, der von Salafisten bedroht werde, outete sich schnell als antimuslimischer Rassismus und Rechtsextremismus. Nach eigenen Angaben orientert sich die HoGeSa an Aktionen der britischen islamfeindlichen Organisation "English Defence League" (EDL), die 2009 aus dem Hooliganmilieu gegründet wurde.

Wann und wo entstand HoGeSa?

GnuHoonters

2012 gründete sich das Internet-Netzwerk „GnuHoonters“, das aus 17 Hooligan-Gruppierungen aus ganz Deutschland bestand. Diese Gruppierung sah zunächst vor allem die eher linksgerichteten Ultra-Gruppen als Feindbilder.

„Weil Deutsche sich’s noch trauen“

Aus GnuHoonters bildete sich das Online-Forum „Weil Deutsche sich’s noch trauen“. Über diese Plattform wurde beispielsweise die Störung der salafistischen Kundgebung des Predigers Pierre Vogel am 23.03.2014 in Mannheim koordiniert. Zu der Störaktion kamen rund 200 Hooligans. Sie setzten sich gegen die Polizist_innen mit Pfefferspray und Pyrotechnik zur Wehr. Fünf Beamt_innen wurden dabei leicht verletzt. Ähnlich ging es der Mönchengladbacher Polizei im Februar, als "eine Gruppierung von rund 150 Störer_innen, die mit einer Vielzahl von Hooligans durchsetzt war", eine Vogel-Kundgebung störte.

„HoGeSa“

Die Seite „Weil Deutsche sich’s noch trauen“ wurde nach etwa zwei Monaten gehackt, woraufhin sich die "Hooligans gegen Salafisten - HoGeSa" gründete. Deren Motto lautet: „Gemeinsam sind wir stark“ sowie „In den Farben getrennt, in der Sache vereint.“

21.09.2014:

Eine unangemeldete HoGeSa-Versammlung mit 80 Teilnehmenden fand am 21.09.14 in Essen statt. Die Polizei war mit einem starken Aufgebot vor Ort, nahm Personalien auf und sprach Platzverweise gegen die Gruppe aus. Die Menschen wurden aufgefordert, die Essener Innenstadt zu verlassen. Festgenommen wurde niemand.

28.09.2014:

Am 28.09.2014 fand eine HoGeSa-Demonstration mit 300 Teilnehmer_innen in Dortmund statt, darunter bekannte Neonazis wie Siegfried Borchardt ("Die Rechte"). Es wurden 100 Teilnehmer_innen erwartet. Gegendemonstrationen gab es nicht. Zwischenfälle ebenfalls nicht. 

11.10.2014:

Eine HoGeSa-Demonstration mit etwa 50 Teilnehmenden fand am 11. Oktober 2014 in Frankfurt statt. Einer der drei Ordner des Aufzugs ist ein bekannter Neonazikader aus Mittelhessen, der in der Jugendorganisation der NPD aktiv ist. Eine Gegendemonstration gab es nicht.

26.10.2014:

Bei der größten Demonstration der HoGeSa am 26.10.2014 in Köln zählte man zwischen 3.000-5.000 Teilnehmer_innen, darunter wenige Frauen, sowie kaum Menschen aus dem bürgerlichen Lager und umso mehr stark alkoholisierte Männer. Besonders aufgeheizt wurde die Stimmung der HoGeSa durch den Auftritt der bei Neonazis beliebten Band „Kategorie C“ mit einem eigens für HoGeSa geschriebenen Song. Auch die Gruppe A3stus (das sind die rechtsextremen Berliner Musiker Villain051 und Dee Ex) spielten auf. Es waren 1300 Polizeibeamt_innen im Einsatz, was angesichts der schon im Vorfeld erwarteten 4.000 Teilnehmenden eine viel zu geringe Anzahl war. Auf diese Weise bestand eine schlechte Übersicht über die Versammlung von Seiten der Behörden. Es kam zu schweren Ausschreitungen in der Innenstadt, Beschimpfungen von Passant_innen und Journalist_innen sowie Übergriffen auf sie. Insgesamt entstand ein Sachschaden von rund 40.000 Euro (laut eines Berichts für den Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags). 45 Polizist_innen wurden verletzt. Die Demonstration wurde nach 300 m aufgrund zahlreicher Angriffe der Teilnehmenden auf Polizist_innen und Gegendemonstrant_innen aufgelöst. Die Versammlung in Köln erhielt große mediale Aufmerksamkeit und wurde wochenlang in der Öffentlichkeit debattiert.

Gegendemonstration: Eine antifaschistische Kundgebung unter dem Motto "Schulter an Schulter gegen Rassismus und religiösen Fundamentalismus" fand am selben Tag in Köln statt. 500 Menschen stellten sich den Hooligans entgegen.

08.11.2014:

Für den 08.11.2014 war in Aachen eine Demonstration unter dem Motto „Aachen gegen Salafisten“ mit rund 100 Teilnehmenden geplant. Zur Anmeldung war der Veranstalter in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Hooligans gegen Salafisten“ erschienen, worauf hin die Aachener Polizei nähere Recherchen zu der Person anstellte und ihm Kontakte zur Hooligan- und Neonazi-Szene nachweisen konnte. Der Anmelder bekundete seine Begeisterung von den Gewaltausschreitungen der HoGeSa Demonstration in Köln, sodass die Polizei von einem unfriedlichen Ausgang der Versammlung ausging und die Demonstration untersagte.

09.11.2014:

Für den 09.11.2014 war in Berlin eine Demonstration unter dem Motto “Das deutsche Volk wehrt sich” angemeldet worden. Wogegen sich die für 80 Teilnehmer_innen angemeldete Veranstaltung richtet, war im Internet deutlich zu verstehen: „gegen das System der Salafisten & Flüchtlinge.“ Der Anmelder Steven K. stammt aus dem gewaltbereiten Hooligan-Milieu, sagte die Demonstration dann doch kurzfristig ab. Nach eigenen Angaben sollte die Versammlung keine „offizielle“HoGeSa-Veranstaltung sein, jedoch kündigte das gleich Klientel von gewaltbereiten Hooligans und Neonazis aus Berlin und Brandenburg sein Kommen an. Trotz der Absage der Demonstration kamen an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz, dem Sammelpunkt der Hooligan-Demo, rund 400 Gegendemonstrant_innen am Sonntag zusammen, falls trotzdem Rechte erscheinen sollten. Schließlich kamen 30 Versammlungsteilnehmer_innen, keine Hooligans allerdings, sondern einschlägig bekannte Neonazis aus Berlin und Brandenburg. Eine erste Gruppe von rund 20 Südost-Brandenburger Neonazis, angeführt vom JN-Landeschef Pierre Dornbrach griff bei ihrer Ankunft am Alexanderplatz unvermittelt linke Gegendemonstrant_innen an. Flaschen flogen und sogar ein Barhocker wurde in Richtung der Nazigegner_innen geschmissen. Die anwesende Polizei nahm zwei Neonazis fest.

15.11.2014:

Für den 15.11.2014 war eine HoGeSa-Demonstration in Berlin mit 10.000 erwarteten Teilnehmer_innen angekündigt. Die Realität ist, dass zwar eine Veranstaltung mit 1.000 Teilnehmer_innen angemeldet war, der Anmelder dies jedoch abstritt und plötzlich von Nichts wissen wollte beziehungsweise die Anmeldung zurückzog. Wahrscheinlich war die Demonstration unter Angabe falscher Personalien angemeldet worden.

15.11.2014:

Auch für Hamburg war am 15.11.2014 eine HoGeSa-Demonstration unter dem Motto „Europa gegen den Terror des Islamischen Staates“ angemeldet. Die Anmeldung wurde jedoch auch dort zurückgezogen. Die Polizei plante, ein mögliches Verbot der Demonstration zu prüfen. Die Demonstration wurde bekannterweise nach Hannover verlegt. Interessant hierbei: Claus Döring und Tatjana Festerling, Bezirkskandidat_innen der AfD in Hamburg begrüßten den HoGeSa-Aufmarsch. Ebensoso Mitglieder der NPD Hamburg und Mitglieder der Burschenschaft Germania.

15.11.2014:

An der Demonstration der HoGeSa in Hannover am 15.11.2014 in der Nähe des Hauptbahnhofs am Zentralen Omnibusbahnhof nahmen nach Polizeiangaben 3.000 Menschen teil. Laut eines Polizeisprechers fanden sich dort Teilnehmende aus verschiedensten Spektren ein: Hooligans, Neonazis, Bürgerliche, Krawalltourist_innen. 5.000 Polizeibeamt_innen waren im Einsatz. Es gab strenge Versammlungsauflagen, die ein Alkohol-, Pyrotechnik- und Glasflaschenverbot beinhalteten. Der Auftritt der Band „Kategorie C“ wurde dieses Mal verboten. Die Demonstration in Hannover war im Vergleich zu der in Köln für die HoGeSa wohl eher enttäuschend: Viele Vorkontrollen und ein hohes Polizeiaufgebot verhinderten Gewaltausbrüche und Ausschreitungen fast komplett. Auch die Teilnehmerzahl bedeutete einen herben Rückschlag. Die Teilnehmer_innen waren die komplette Zeit von der Polizei eingezäunt worden und klagten teilweise über Langeweile. Diesmal waren auch die Gegenproteste maßgeblich an einer Ausbremsung der HoGeSa-Demonstration beteiligt. Am Rande der Demonstration kam es zu einigen tätlichen Auseinandersetzungen mit antifaschistischen Aktivist_innen. In Folge einer dieser Konfrontationen wurde ein Hooligan schwer am Kopf verletzt, sodass die Polizei nun wegen versuchter Tötung ermittelt. Nach dem Stattfinden der Demonstrationen erhob die Gewerkschaft ver.di Anschuldigungen gegen die Polizei, welche linken Demonstrant_innen im Vorfeld der Demonstrationen gedroht haben soll, nicht nach Hannover zu fahren, da bei geringsten Straftaten hart gegen sie durchgegriffen werde und sie unter Beobachtung stünden. Das LKA in Kiel bestätigte das Stattfinden sogenannter „Gefährderansprachen“ im linken und rechten Spektrum. Diese seien keine Einschüchterungen.

Die Gegenproteste in Hannover waren zahlreich und gut besucht: Es gab 17 angemeldete Gegenkundgebungen, 5 davon fanden tatsächlich statt. Rund 4.600 Menschen protestierten gegen die HoGeSa, unter anderem das Bündnis „Gemeinsam gegen Rassismus und religiösen Fundamentalismus“ mit Demonstration und Kundgebung in direkter Nähe zu den Neonazis. Unter den circa 3.000 Teilnehmer_innen waren auch viele Fußballfans aus dem linken Spektrum. Des Weiteren gab es eine antifaschistische Gegendemonstration mit rund 5.000 Teilnehmer_innen.

06.12.2014:

In Köln sollte am Samstag, den 06.12.2014 eine Versammlung von HoGeSa-Anhänger_innen stattfinden. Diese richtete sich gegen die zeitgleiche Demonstration linker und kurdischer Gruppen, welche das PKK-Verbot und die staatliche Flüchtlingspolitik kritisierten.  Die rund 70 Teilnehmenden der Hooligan-Demonstration konnten die Auflagen der Stadt nicht erfüllen und wurden deshalb am Laufen gehindert. Der Anmelder der Demonstration soll mit Messern, Pfefferspray und Quarzhandschuhe bewaffnet gewesen sein. Möglicher weise war dies der Grund der Absage.

Nachahmer_innen und Trittbrettfahrer_innen: SaGeSa & BaGeSa

SaGeSa - Saarländer gegen Salafisten

Am 22.11.2014 demonstrierten rund 250 SaGeSa (SaarländerGegenSalafisten) gegen Salafismus in Völklingen. 300 Menschen stellten sich den Rassist_innen in den Weg. Die Demonstration war keine offizielle HoGeSa-Demonstration, offenbar sollte das „GeSa“ wohl mehr Menschen mobilisieren. Die HoGeSa distanzieren sich auf ihrer Website sogar von den SaGeSa: Die Teilnehmenden der SaGeSa-Versammlung seien zum Großteil NPD-Funktionäre. HoGeSa würden sich von keiner Partei instrumentalisieren lassen und hätten nichts mit den Veranstalter_innen der SaGeSa-Versammlung zu tun. Sie würden weiterhin „unpolitisch“ bleiben.

Desweiteren gibt es noch, zumindest in Sozialen Netzwerken:

BaGeSa - Bayern gegen Salafisten
FraGeSa - Franken gegen Salafisten
LaGeSa - Ladies gegen Salafisten
Pa.Ge.Sa. - Patrioten gegen Salafismus
Gemeinsam gegen Salafisten und der Islamischen Staat 

HoGeSa 2015?

Auf der offiziellen Website der HoGeSa kündigt man die nächste Demonstration für Februar 2015 im östlichen Raum Deutschlands an. Die darauffolgende Demonstration soll im April nächsten Jahres im Süden der Bundesrepublik stattfinden.

Außerdem probiert man, den Namen „HoGeSa“ amtlich zu schützen und hat wohl eine erste Version der Satzung zur Gründung eines eingetragenen Vereins vorliegen.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:| Factsheet & Zeitleiste Pegida| Alles zu Pegida| Alles zu HoGeSa 
| Alles zu Hetze gegen Flüchtlinge 
| Chronik Übergriffe auf Flüchtlinge 2014

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Hessen 2014: Mögliche rechtsextreme Morde im Wohnungslosenmilieu und durch Burschenschaftler

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Hessen wurde im vergangenen Jahr gleichermaßen geprägt von zahlreichen neonazistischen Aktivitäten innerhalb des Parteienlagers, wie auch von rechtsextremen Gruppierungen aus der freien Kameradschaftsszene. Die Anzahl von Übergriffen und Schmierereien, versuchter Agitation gegen Flüchtlingsunterkünfte und rassistischen Flyeraktionen ist augenfällig. Der Höhepunkt rassistischer Gewalt war der Mord an einem ruandischen Wohnungslosen in Limburg Ende Oktober diesen Jahres. In einem weiteren Fall in Marburg, bei dem ein 20-jähriger Studienanfänger von einem Burschenschaftler erstochen wurde, ist ein rechter Tathintergrund ebenfalls möglich.

Von Théo Garrel

Am Morgen des 12 Oktobers wurde ein 20-jähriger Erstsemester der Sozialwissenschaften in Marburg von einem 26-jährigen Mitglied der pflichtschlagenden Landsmannschaft „Nibelungia“ mit einem Klappmesser erstochen. Zuvor waren beide auf einer Erstsemesterparty in Streit geraten. Medienberichten zu folge soll der 20-jährige dem späteren Täter das Einstecktuch geklaut haben, dass diesen als Verbindungsmitglied auswies. Es ist also möglich, dass verletzter Stolz des Verbindungsmitglieds der Auslöser für die tödliche Auseinandersetzung war, Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich hierzu allerdings bedeckt.

Burschenschaften weiter aktiv

In Marburg liegt darüber hinaus der Sitz der Burschenschaft Germania, aus der viele Mitglieder schon seit Jahren durch Kontakte zu Neonazis aufgefallen sind und die häufig rechte Veranstaltungen wie „neurechte“ Vorträgen oder Fackelmärschen organisiert. Die Burschenschaft stellte regelmäßig Räume für neonazistischen Aktivitäten und Veranstaltungen. Die Antifa Marburg und der Blog „Naziwatchblog“ haben fünf Mitglieder der Burschenschaft Germania Marburg als Neonazi-Aktivisten geoutet. Eine Demonstration gegen die so bezeichnete „Nazivilla Germania“ ist für den 31.01.2015 in Marburg geplant.

Mord an Wohnungslosem: Rechtsextremer Hintergrund vermutet

Wenig ist bekannt über das, was sich in der Nacht zum 23.10.2014 in einer städtischen Unterkunft für Wohnungslose im hessischen Limburg abgespielt hat. In der Gemeinschaftsküche der Einrichtung schlugen und traten drei Täter abwechselnd so lange auf einen Mann aus Ruanda ein, dass dieser wenig später an seinen inneren Blutungen starb. Drei Tatverdächtige, zwischen 22 und 43 Jahren, konnten schnell ermittelt werden. Einer von ihnen beging in Untersuchungshaft Selbstmord. Polizei und Staatsanwaltschaft kommunizierten schon am Anfang der Ermittlungen, dass es klare Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation der Täter gebe. Woran genau sich dies festmacht, ob die Täter womöglich Kontakte in die organisierte Neonaziszene haben, ist nicht bekannt. Kürzlich sickerte aber durch, dass zumindest zwei der Täter am Tag der Tat beim Zeigen des Hitlergrußes fotografiert wurden. Noch weniger als über die Geschehnisse in Limburg weiß man in der Öffentlichkeit allerdings über das Opfer der Mordtat: Nur sein Alter und seine Nationalität sind bekannt: 55 Jahre alt, aus Ruanda.

Rechtes Parteienwesen

Die Partei „Die Rechte“ hat ihre Aktivitäten in Hessen weitestgehend eingestellt. Mitte März verkündete die Kleinstpartei, die sich in Hessen seit 2012 um den ehemaligen NPD-Politiker Pierre Levien aus der Wetterau gesammelt hatte, sich der Szene der Freien Kameradschaften anschließen zu wollen.Dafür war dieses Jahr die Partei „Der III. Weg“ in kleineren Orten wie Eschwege und im Werra-Meißner-Kreis aktiv. Dort wurden mehrmals Flugblätter verteilt, die sich gegen Flüchtlinge und Unterkünfte für diese richtet. Auch Sticker wurden verklebt, jedoch zum Großteil wieder von antifaschistischen Gruppen verdeckt. Die Neonazis versuchen anscheinend, ebenfalls auf den „Anti-Flüchtlingszug“ aufzuspringen und rassistische Meinungsmache zu betreiben, um in Nordhessen Fuß zu fassen. Die NPD ist die stärkste rechtsextreme Partei Hessens, ihr Landesvorsitzender Daniel Knebel. Er wohnt in einer Wohngemeinschaft mit Stefan Jagsch, derzeit stellvertretender Landesvorsitzender in Hessen. Außerdem ist Jagsch für die NPD Landesorganisationsleiter des Bundeslandes Hessen.

Stefan Jagsch und seine Klage gegen die Stadt Frankfurt

Jagsch arbeitete bis 2014 als städtischer Angestellter im Jobcenter Frankfurt-Höchst am Empfangsschalter. Im Mai 2014 machte das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen die Stadt auf die Mitgliedschaft in der rechtsextremen Partei NPD aufmerksam, woraufhin Jagsch vom Dienst freigestellt wurde. Nach Protesten vor dem Jobcenter kündigte man ihm im Juni 2014 mit folgender Begründung der Stadt: „Der Betreffende ist hochrangiger Funktionär der NPD und steht für deren Ideologie und Ziele, die sich mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen Programmatik nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen“. Es wurden durch verschiedene Organisationen die mögliche Benachteiligung von Migrant_innen durch Jagsch und sein Zugriff auf sensible Daten kritisiert. Jagsch klagte gegen die Kündigung.

Er argumentierte, dass er kein "Extremist" und auch kein Verfassungsfeind sei. Er habe kein gestörtes Verhältnis zum Staat und zur Verfassung und habe nie dazu geneigt und dies auch nicht getan, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main gab ihm Recht und bezeichnete somit die Kündigung als verfassungswidrig. Jagsch selbst rechnet sich bei einer erneuten Klage der Stadt Frankfurt auch auf höheren Instanzen große Chancen aus, wieder zu gewinnen.

Hetze gegen Flüchtlinge und Wahlkampf

Wie auch alle anderen rechten Parteien, versucht die NPD gezielt durch rassistische und fremdenfeindliche Aktionen an die Ängste und Vorurteile rechtsgesinnter Bürger_innen anzuknüpfen und so die Stimmung in Hessen massiv zu beeinflussen. Auf der diesjährigen Weihnachtsfeier der NPD wurde beschlossen, in den nächsten Monaten 300.000 Flyer mit der Aufschrift „Asylsturm stoppen – Scheinasylanten ausweisen“ zu verteilen. Stark ist die NPD im Vogelsbergkreis und in der Wetterau, wo die Spitzenfunktionäre Knebel und Jagsch leben. Insgesamt hat sie in Hessen momentan rund 280 Mitglieder. Anlässlich der Europawahlen 2014 verteilte die NPD Flyer und besonders im Wetteraukreis wurde massiv plakatiert. Außerdem veranstaltete die NPD ein Rechtsrock-Konzert mit 30 Teilnehmenden in einem Landgasthof in Büdingen-Orleshausen mit einer Ansprache eines bayerischen NPD-Kaders.

Weitere Aufmerksamkeit erregte die rechte Partei NPD dieses Jahr mit ihrer Klage gegen den Oberbürgermeister Hanaus, Klaus Kaminsky. Dieser hatte sich bei einer Demonstration gegen eine NPD-Kundgebung in seiner Rede klar gegen die NPD und Neonazis geäußert. Im Juli dieses Jahres wurde die Klage der NPD zunächst abgewiesen, im November hingegen beschloss der hessische Verwaltungsgerichthof in Kassel, dass Teile der auf der Homepage der SPD veröffentlichten Rede gestrichen werden müssen. Dazu gehört die Passage, in Hanau sei „kein Platz für Nazis“.

„KaGiDa“

Das Pegida-Konzept fand auch in Hessen 2014 Anklang: „KaGiDa“ nennt sich das islamfeindliche Bündnis in Kassel. Es fanden davon bisher drei Versammlungen statt, zu denen jeweils nur rund 80 Teilnehmer_innen kamen. Bei der ersten Versammlung am 01.12.2014, die übrigens ohne Demonstrationszug stattfand, kamen auch hochrangige NPD-Mitglieder wie Stefan Jagsch und Daniel Lachmann, ebenfalls stellvertretender Landesvorsitzender der Partei NPD. Der ersten KaGiDa-Versammlung stellten sich 500 Gegendemonstrant_innnen entgegen. Der Anmelder und Organisator der Demonstration soll Michael Viehmann sein. Er hat Antifa-Recherchen zufolge seinen Job verloren, als bekannt wurde, dass er maßgeblich an der Organisation der Anreise aus Kassel zu den HoGeSa-Aufmärschen in Köln und Hannover beteiligt gewesen sein soll. Auch in Frankfurt versucht sichein an PEGIDA orientiertes Bündnis zu organisieren, bis zum 18.12.2014 lagen der Stadt aber noch keine Versammlungsanmeldungen von FraGIDA vor.

Aufklärung des NSU

Als eines der letzten Bundesländer richtete Hessen im Mai 2014 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der NSU-Mordserie ein. Der Ausschuss soll vor allem den Mord des Internetcafébetreibers Halit Yozgat 2006 durch den NSU, und die Ermittlungen der Sicherheitsdienste hierzu aufarbeiten. Zur Tatzeit des Mordes an Yozgat war ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort, der aus Sicht der Polizei zunächst verdächtig war. Die Ermittlungen gegen ihn wurden aber eingestellt.

Kameradschaftsszene – „Sturm 18 Cassel“ als offizieller Verein

In den Fokus der Aufmerksamkeit geriet im Juli dieses Jahres die rechtsextreme Kameradschaft „Sturm 18 Cassel“. Das hessische Innenministerium prüft derzeit ein Verbot der Gruppierung, die sich dieses Jahr als offizieller Verein eintragen ließ. Vereinssymbol ist ein Reichsadler in der Fassung aus dem Dritten Reich. Der Gründer der Kameradschaft, Bernd Tödter, ist bereits mehrfach wegen rechtsextremer Aktivitäten aufgefallen und sitzt derzeit wegen Verdachts der Vergewaltigung einer 16-Jährigen und zweifacher gefährlicher Körperverletzung in Untersuchungshaft. 1993 hatte er mit einem Kameraden einen Obdachlosen zu Tode geprügelt. Im Gefängnis ließ er sich von der als inzwischen verfassungsfeindlich eingestuften und 2011 verbotenen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) betreuen. Außerdem gründete er aus dem Gefängnis heraus die rechtsextreme „AD Jail Crew (14er)“ am 20.04.2012 (Adolf Hitlers Geburtstag), woraufhin die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren einleitete, unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Mitglieder des „Freien Netzes Hessen“, das der Kameradschaftsszene zugeordnet wird, nahmen an der HoGeSa- Demonstration in Köln teil. Ebenso Jörg Krebs, NPD-Stadtverordneter in Frankfurt, der die Aktivitäten der HoGeSa im Nachhinein via Twitter lobte.

Übergriffe, Gewalttaten, Veranstaltungen

Am 12.01.2014 stürmten vier junge Männer die Unterkunft für Asylsuchende in Wohra im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Sie traten Türen und Fenster ein, beschädigten die Fassade, riefen rechte Parolen und bedrohten die Bewohner_Innen über eine halbe Stunde. Eine Schwangere wurde wegen der Aufregung vorsorglich in einem Krankenhaus behandelt. In dem Heim leben etwa 50 Menschen. Die Jugendlichen bestritten eine rechtsradikale Motivation , allerdings haben die Ermittler den Verdacht, dass mindestens einer der vier bei einem rechten Vorfall im Dezember 2013 dabei war. Er soll in einem Auto gesessen zu haben, aus dem beim Vorbeifahren an der Flüchtlingsunterkunft „verfassungsfeindliche Parolen“ gerufen wurden. Im November war im mittelhessischen Friedberg eine Gruppe von 10-15 Neonazis unterwegs, die Passant_innen, die der Gruppe als „Linke“ oder Migrant_innen erschienen, tätlich angriff und beschimpfte. Immer wieder ereigneten sich dieses Jahr in Hessen solche Vorfälle, ob tätliche Angriffe, die Beschädigung von Flüchtlingsunterkünften oder Gebäuden, in denen Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Außerdem wurden Informationsveranstaltungen über die Aufnahme von Flüchtlingen von Neonazis oder NPD-Mitgliedern, beispielsweise im November in Wetzlar, gestört. Häufig wurden dieses Jahr rechtsextreme Schmierereien entdeckt. Heraus sticht ein Anschlag auf das Autonome Schwulenreferat der Universität Kassel Anfang Januar: Der Eingang des Referats wurden mit Fäkalien beschmiert, sodass die Räumlichkeiten zwei Tage lang nicht benutzbar waren.

Szenetreffpunkte neuer und alter Rechter

In der „Projektwerkstatt“ in Karben bei Frankfurt fanden dieses Jahr weiterhin rechte Veranstaltungen des umstrittenen Betreibers Andreas Lichert statt. Darunter waren unter anderem geschichtsrevisionistische Vorträge sowie Veranstaltungen mit Felix Menzel, dem Chefredakteur des neurechten Magazins „Blaue Narzisse“. NPD- Mitglieder sind dort gern gesehene Gäste. So nahm auch Daniel Lachmann an der Veranstaltung über „Skandalokratie“ am 24.01.2014 teil. Ein weiterer Veranstaltungsort für Rechte ist das Lokal „Hollywood“ in Leun- Stockhausen, das NPD-Kader Thomas G. gehört. Dort demonstrierten Anfang April spontan 50 Menschen gegen eine Veranstaltung der rechtsextremen Partei mit rund 20 Teilnehmenden. Weiterhin fand ein JN Hessen -Zeltlager im Herbst 2014 unter dem Motto “Heimat, Gemeinschaft, Bildung” statt.

Was bringt 2015?

Neonazis sind in Hessen auf vielen Ebenen aktiv, ihre Aktivitäten erstrecken sich über das ganze rechtsextreme Aktionsspektrum. Zwei Mordfälle mit möglichem rechtem Hintergrund sprechen eine deutliche Sprache. Für 2015 ist zu erwarten, dass sich die rechtsextreme Szene Hessens an der bundesweiten Mobilisierung gegen Flüchtlingsheime weiterhin beteiligen und lokal aktiv werden wird. Offen bleibt, ob die PEGIDA-Bewegung in Hessen weiter Fuß fassen können wird. Die stagnierende Teilnehmer_innenzahl in Kassel lässt gegenteiliges vermuten. Insofern wird die Ausweitung auf Frankfurt womöglich die entscheidende Bewährungsprobe für die islamophobe, rassistische Mobilisierung.

Mit freundlicher Unterstützung des MBT Hessen.

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Jahresrückblick 2015, Hessen: Viele Gidas mit wenig Beteiligung – NPD federführend in Flüchtlingshetze

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Lowered expectations: "Freie Bürger für Deutschland" am 11.05.2015 in Frankfurt am Main auf dem Römer.
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Flickr / Creative Commons / A. Schnapper
https://www.flickr.com/photos/derschnappi/17342066710/in/photolist-rpezu4-s2HizR-sqsCfb

In Hessen wollten Flüchtlings- und Islamfeinde auf die Straße gehen – nur die Label wechselten ständig: Kagida vs. Pegida Kassel, Fragida vs. „Pegida Frankfurt“ vs. „Freie Bürger für Deutschland“ vs. „Widerstand Ost West“. Schließlich liefen sich alle aus – nicht, ohne die Atmosphäre vergiftet zu haben, was zahlreiche Übergriffe auf Geflüchtete zeigen. Außdem: Gericht bestätigt rassistische Motivation bei Mord unter Wohnungslosen in Limburg und der aus einer Kameradschaft entstandene Verein „Sturm 18 Cassel e.V.“ wird verboten.

Mit freundlicher Unterstützung des MBT Hessen

Rassistische, islam –und demokratiefeindilche Demonstrationen

Ende von „Kagida“ / „Pegida Kassel“

Der Kasseler „Pegida“-Ableger „Kagida“ wollte zunächst passenderweise am Hitler-Geburtstag, dem 20. April , ihren hessischen Fans Lutz Bachmann präsentieren wollte, den „Pegida“-Chef und Fan von Hitler-Frisur-Verkleidungen, wie Fotos aufFacebook zeigten. Dessen Besuch sollte ihrer „Bewegung“ in Nordhessen wieder mehr Zulauf verschaffen. Stattdessen wurde die „Kagida“-Demonstration von Montag auf Samstag, den 18. April, vorverlegt. Bachmann kam nicht, dafür aber das Ende von „Kagida“.

Auf der Kundgebung und dem anschließenden „Spaziergang“ waren lediglich rund 70 Personen anwesend. Darunter waren allerdings mehrere Hessische NPD Funktionäre mit Transparent, so beispielsweise der Landesvorsitzende Stephan Jagsch und sein Stellvertreter Daniel Lachmann. Auf den anschließenden, noch regelmäßig stattfindenden Kundgebungen von „Kagida“ waren teilweise nur noch sieben Personen. Selbst nach den Anschlägen von Paris im Oktober diesen Jahres, konnte „Kagida“, oder vielmehr „Pegida Kassel“, keine nennenswerte Anzahl von Personen mehr mobilisieren.

Dafür machten einzelne Mitglieder Schlagzeilen. Für den Sprecher Michael Viehmann aus Kassel flatterte ein Strafbefehl ins Haus wegen Volksverhetzung in Einträgen in Sozialen Netzwerken. Zuvor war er wegen derselben Delikte bereits aus der AfD ausgetreten, um einem Ausschluss zuvor zu kommen. Ein weiteres ausdauerndes Mitglied von „Pegida Kassel“, Sascha S., ist wegen eines versuchten Tötungsdeliktes festgenommen worden, sein Opfer liegt bis heute im Koma.

Ein Redner von „Pegida Kassel“, Viktor Seibel, tourt bundesweit als Redner, unter anderem auch auf Aufmärschen von Neonazis, inhaltlich wirr, geschichtsrevisionistisch  und verschwörungstheoretisch. Da er ursprünglich aus der Security-Branche stammt, nimmt er einen Job als Security Verantwortlicher in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete im Landkreis Goslar an (nach öffentlicher Skandalisierung wurde er entlassen).

Ab Mitte Oktober mobilisiert Michael Viehmann seine Anhänger*innen zu Bürger*innenversammlungen, die im Kontext von Informationen über Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete stehen. Bei einer dieser Veranstaltungen, Mitte Oktober, auf der rund 800 interessierte Menschen waren, beschimpfen ca. 10 Anhänger von „Pegida Kassel“ den Regierungspräsidenten Dr. ??? Lübcke öffentlich. Daraufhin erhielt der Regierungspräsident über 350 Hass-Emails, es waren auch Morddrohungen dabei.

Frankfurt - FRAGIDA

Der zweite „Pegida“-Ableger in Hessen in Frankfurt hatte von Anbeginn massive Probleme, sich zu organisieren. Schon vor dem Demonstrations-Start gab es zwei Facebook-Gruppen namens „Fragida“ – eine aus dem unorganisierten islamfeindlichen Spektrum, eine um das Frankfurter AfD-Mitglied Hans-Peter Brill. Letztere „Fragida“ rief im Januar 2015 zum ersten „Fragida“-Treffen auf. Mit dabei: der kommissarische NPD-Landesvorsitzende Stefan Jagsch, den Brill nicht erkannt haben will. Ende Januar zieht Brill sich als Organisator zurück. Daraufhin gründet sich „Pegida Frankfurt RheinMain“ unter der Führung der Pädagogin Heidi Mund, die zuvor bereits bei „Kagida“ und bei den „Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) in Hannover im November 2014 gesprochen hatte. Zur ersten Demonstration am 1. Februar 2015 kommen 60 Personen, der Höhepunkt lag in den kommenden Wochen bei 120 Teilnehmer_innen. Mitte März verkündet „Pegida“-Chef Lutz Bachmann, dass die Frankfurter „Pegida“ nicht mehr zu seiner „Pegida“ gehöre. Daraufhin gründet Mund die „Freien Bürger für Deutschland“, die es ebenfalls von Facebook auf die Straße schaffen – mit 25 Teilnehmer_innen im März 2015. Die Gruppe verharrt auf diesem Niveau.

Dann gab es in Frankfurt noch den „Widerstand Ost West“ am 20. Juni 2015, organisiert von der jungen Rechtspopulistin Esther Seitz als hessischer „HoGeSa“-Ableger. Trotz relative szeneprominenter Redner (Silvio Rösler von „Legida“, der rechtspopulistische Blogger Michael Stürzenberger) kamen statt anvisierten 1.000 nur 180 Hooligans – und keine weitere Demo.

Frankfurt II: Rechtsextreme Beteiligung an den Protesten im Rahmen der EZB-Eröffnung

Im Rahmen der angekündigten Proteste zur Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt gab es auch frühzeitig Hinweise auf eine Mobilisierung der extremen Rechten zu dem Datum – vor allem durch „Freies Netz Hessen“ und „Nationale Sozialisten Rhein-Main“. Entsprechend namen auch Gruppen von Neonazis an der Demonstration teil, was zu Zusammenstößen mit Linken führte.

Fulda - FUGIDA

Außerdem gab es in Hessen noch die „Fugida“ aus Fulda -im Januar 2015 auf Facebook. Zu einer eigenen Demonstration kam es nie, jedoch rief „Fugida“ im Januar dazu auf, sich an einer Demonstration gegen Fremdenhass zu beteiligen – man sei ja selbst gegen Rassismus. Danach ward von „Fugida“ nichts mehr gesehen.

 

Limburg: Gericht bestätigt rassistisches Motiv bei Mord unter Wohungslosen

Ein 55-jähriger Mann aus Ruanda wurde im Oktober 2014 in einer Wohnungslosen-Unterkunft von drei Männern zu Tode geprügelt. Schon zu Beginn der Ermittlungen war von einem rassistischen Motiv die Rede – das Gericht bestätigte diese Tatmotivation in seinem Urteil im Juni 2015. Einer der Tatverdächtigen nahm sich in Untersuchungshaft das Leben, die anderen zwei wurden wegen Mordes aus Fremdenhass zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (12 Jahre und 10 Jahre plus Einweisung in eine Entziehungsanstalt). Die Richterin sprach von einer „verachtenswerten Tat“.

 

Übergriff auf Geflüchtete, ihre Unterkünfte und Unterstützer

gab es in Hessen 2015 rund 35. Darunter:

  • Beim Erntefest in Witzenhausen, Werra-Meißner-Kreis, haben Ende August fünf Männer aus dem nahegelegenen Ort Bad-Soden-Allendorf im Festzelt Geflüchtete und den Sozialarbeiter der Örtlichen Gemeinschaftsunterkunft zunächst mit rassistischen Parolen ("White Power", "Volksverräter“) beleidigt und schließlich geschlagen, gewürgt und verletzt. Zeitgleich ist im selben Zelt ein 32-jähriger Mann aus Witzenhausen, der aus Kenia stammt, von zwei Männern aus Hann. Münden zunächst als "Nigger" beschimpft und dann am Hals gewürgt worden. Der betroffene Sozialarbeiter kritisierte, dass niemand der anderen Festzelt-Gäste bei der rassistischen Auseinandersetzung eingeschritten ist. Die Polizei hat die Identität der Täter festgestellt und Ermittlungsverfahren eingeleitet.
  • Anschlag auf Gemeinschaftsunterkunft: In Fuldatal im Stadtteil Rothwesten gab es Anfang November einen Anschlag auf eine künftige Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Bisher Unbekannte haben in der Nacht die metallene Zuleitung eines Gastanks in der Fritz-Erler-Anlage, die zu der Zeit im Umbau war, angesägt.
  • Am 25.03.2015 entdeckt der Vermieter des geplanten Flüchtlingsheims in Flieden-Rückers während der Autofahrt, dass die Radmuttern an seinem Wagen mutwillig gelockert wurden. Der Mann konnte allerdings sein Auto gerade noch stoppen und so einen Unfall verhindern.
  • In dem Beselicher Ortsteil Niedertiefenbach wurden Ende März Stahlkugeln auf eine Gaststätte mit Hotelbetrieb abgeschossen, in der auch Flüchtlinge untergebracht wurden. Als der Täter gefasst wurde, ein 58 Jahre alter Mann aus dem Ort, gab er allerdings an, er habe aus „Hass auf Menschen“ geschossen – „nicht speziell gegen Flüchtlinge“.
  • Am 11. April 2015 wurde eine Flüchtlingsunterkünft in Hofheim mit einer Druckluftwaffe beschossen, verletzt wurde niemand. Stunden vor der Tat wurden auf die Wohncontainer „Refugees are NOT welcome“-Aufkleber geklebt.

„Sturm 18 Cassel e.V. “ verboten, „Anführer“ in U-Haft

Die Kameradschaft „Sturm 18 Cassel e.V.“, die 2014 überraschend ins örtliche Vereinsregister eingetragen wurde, ist Ende Oktober vom hessischen Innenminister verboten worden. Knapp 300 Straftaten werden den Mitgliedern vorgeworfen. Ein Mitglied arbeitete ausgerechnet beim Sicherheitsdienst in einer Flüchtlingsunterkunft. Als Folge des Verbotes wurde Anfang  August zeitgleich Durchsuchungen bei acht Vereinsmitgliedern einschließlich des Vorstands durchgeführt. Der hessische Innenminister Peter Beuth erklärte: “Bei den Durchsuchungen wurden mehrere PCs, Notebooks und Handys sichergestellt, die umfangreiches nationalsozialistisches, antisemitisches und fremdenfeindliches Datenmaterial, wie Musik, Bilder und Texte, enthielten. Wir haben außerdem Vereinssymbole, Sturm-18-Bekleidung und verschiedene Flaggen mit Bezug zum Nationalsozialismus gefunden“. Darüber hinaus wurden ein Teleskopschlagstock, ein Luftgewehr, eine Schreckschusswaffe, eine Langwaffe, eine Stielhandgranate mit Übungskopf und Betäubungsmittel sichergestellt.

Der zweite Vereinsvorsitzende von „Sturm 18 Cassel e.V.“, Rene S., arbeitete bis Anfang September als Security in der Unterkunft für Geflüchtete auf dem ehemaligen Militärgelände des Patrick-Henry-Village in Kirchheim/Heidelberg. Er ist mehrfach vorbestraft und hat ein gut sichtbares Tattoo im Nacken, den Zahlencode 88 – der 8. Buchstabe im Alphabet steht hier für „H“, also: „Heil Hitler“.

Bereits Anfang April machte Bernd T., Anführer“ von „Sturm 18“, Schlagzeilen. So hielt er und drei weitere Mitglieder von „Sturm 18“ einen 46-jährigen Kasseler eine Woche lang in einer Wohnung fest und misshandelten diesen mehrfach. Bei dem Opfer sind Hämatome am gesamten Körper und eine Rippenfraktur festgestellt worden. Dem Opfer gelang die Flucht aus der Wohnung. Bernd T. gab außerdem an, Informationen zum NSU zu haben – um wenige Wochen später zu dementieren und zu sagen, er habe sich damit nur Hafterleichterung erschleichen wollen. 

Ebenfalls ins Umfeld des „Sturm 18“ gehört ein Delikt von Körperverletzung und Erniedrigung, das die Verrohung innerhalb der rechtsextremen Szene zeigt und für das im März 2015 das Urteil gefällt wurde: eine 21-jährige Frau aus dem Umfeld von „Sturm 18“ hatte eine 16-Jährige bis zur Bewusstlosigkeit ins Gesicht geschlagen und ihr eine Leine umgelegt, um sie „Gassi“ zu führen (um sie zu demütigen) – Urteil: Bewährungsstrafe von 15 Monaten und 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Auch zwei Mittäterinnen wurden verurteilt.

Viele Propagandadelikte

Im Jahr 2015 sind in Nordhessen auffällig viele neonazistische, rassistische und antisemitische Sticker verklebt, bzw. Sprühereien getätigt worden. Darunter diverse Hakenkreuze und Hassparolen gegen Geflüchtete auch im Umfeld von Unterkünften für Geflüchtete, an Schulen, Brücken oder Verkehrsschildern, sowie an Pressegebäuden (u.a. „Lügenpresse“). Wenn organisierte Absender bei den flüchtlingsfeindlichen Delikten zu erkennen waren, handelte es sich um die NPD, „Der III. Weg“ oder um die „Identäre Bewegung“, die hier alle ihr Betätigungsfeld finden.

Die Identitäre Bewegung und der Landkreis Osthessen

Die neurechte Identitäre Bewegung ist in Hessen vor allem im osthessischen Landkreis Fulda aktiv. Die Ortsgruppe aus Fulda stellt den aktivsten und bedeutsamsten Teil der „Identitären Bewegung Hessen“ dar, welche darüber hinaus auch im nördlichen Rhein-Main Gebiet oder anderen hessischen Gemeinden aktiv ist. Im Gegensatz zu Osthessen finden dort Aktionen jedoch eher sporadisch statt.
Im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg zum Beispiel, wurden gezielt im Januar 2015 an mehreren Schulen über Nacht massenweise Sticker verklebt, die gegen den Islam hetzten. Im November nutzten die Identitären einen Landesparteitag der CDU für eine Protestaktion vor dem Veranstaltungsort. Mit dem Slogan eines befürchteten „großen Austausches“ nutzt auch die Identitäre Bewegung rassistische Ängste für ihre rechte Agitation aus um gegen Geflüchtete zu hetzten.

Im Landkreis Fulda und dort vor allem in den Gemeinden Neuhof und Flieden gehören nicht nur die klassischen gelb-schwarzen Sticker zum Ortsbild, sondern auch die häufigen, teilweise flächendeckend verteilten Flugblätter in Haushalte. Zwar verhält sich die Fuldaer Gruppe im Internet mittlerweile etwas moderater und weniger öffentlich, im Stadtbild sind sie jedoch weiterhin präsent und fühlen sich dabei teilweise so sicher, dass sie bei Aktionen des lokalen Bündnis gegen Rechts auftauchen, um zu provozieren.

Auch im Landkreis Fulda wurden neben einer Vielzahl an Propagandadelikten Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen beleidigt und bedroht, in einem Fall wurden einer Person, die ein Gebäude als Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete an den Kreis vermieten wollte, die Radmuttern am Auto gelöst.

NPD Hessen

Die NPD Hessen hat sich – dem Zeitgeschmack entsprechend – stark auf das Thema Hetze gegen Geflüchtete fokusiert. Unter anderem agitierte der NPD-Hessen-Vorsitzende Daniel Lachmann gegen ein Erstaufnahmelager in Büdingen, die NPD verantwortete auch die Facebook-Seite „Büdingen sagt NEIN zum Erstaufnahmelager für Asylanten“. Im März gab es eine Veranstaltung zum Thema, zu der auch der NPD-Bundesvdorsitzender Frank Franz und der NPD-Berlin-Vorsitzende Sebastian Schmidtke anreisten. Lachmann konnte mit dem Thema auch bei der Bürgermeisterwahl in Büdingen punkten: er erhielt 8,2 Prozent der Stimmen, nachdem er zuvor bei Bürgermeisterwahlen Nidda und Wölfersheim mit zwischen 1,8 und 4,3 Prozent eher kläglich abgeschnitten hatte.

Außerdem beteiligte sich der NPD-Landesvorstand, besonders Stefan Jagsch und Daniel Lachmann, an lokalen Pegida-Protesten – gern auch ohne Parteiabzeichen, Logos oder andere Erkennungsmerkmale. Das kam nicht bei allen gut an: der ehemalige Landesvorsitzende und langjährige Frankfurter Stadtverordnete der NPD, Jörg Krebs, trat wegen dieser Beteiligung aus der NPD aus: Die Pegida Frankfurt-Kundgebungen waren ihm zu „proisraelisch“.

Die NPD-Jugendorganisation „JN Hessen“ organiserte ein„Sommerlager“ in Lützellinden vom 23. bis 25. Mai 2015 (allerdings nur rund ein Dutzend Teilnehmer_innen). Ebenfalls ein Zeichen für Mitgliederschwund: Die NPD-Kreisverbäde Wetterau und Main-Kinzig fusionieren – offiziell, um „Verwaltungsaufwand zu verringern“.

„Der III. Weg“

hat in Hessen mehrere Ortsgruppen, die vor allem mit Flugblättern und Aufklebern in Erscheinung treten, die Hetze gegen Geflüchtete verbreiten. Spekakulärste Verteilung war eine in Weihnachtsmann-Verkleidung in Wiesbaden im Dezember 2014.

 

 

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